Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
Die Spur der Hände · Reparatur der Beagle · Exkursion auf dem Santa Cruz
Einmal der Erste sein, vor allen anderen einen Flecken Erde betreten - gibt es das noch auf diesem tausendmal umgewühlten, abgeholzten und zersiedelten Planeten? Darwin ist gut zwei Jahre unterwegs, als er im Süden Südamerikas erstmals wirklich Neuland betritt. Zumindest ist noch kein Europäer vor ihm so weit vorgedrungen in das Landesinnere Patagoniens. Die »anderen« sind schon seit über zwölftausend Jahren da.
Eine große Rauchwolke wurde in einiger Distanz gesichtet und ein Skelett und andere Anzeichen von Pferden; daher wussten wir, dass Indianer im Land waren . Jenseits der Stelle, an der wir die letzte Nacht verbrachten, ist das Land vollkommene terra incognita. Nun endlich erfüllt sich die Sehnsucht nach dem Neuen, die Humboldt und andere Forschungsreisende durch ihre Berichte in ihm geweckt haben. Die großen Wüsteneien von Patagonien , schreibt Darwin mehr als fünfzig Jahre später in seinen Erinnerungen, haben einen unauslöschlichen Eindruck auf meinen Geist gemacht .
Gleich hinter Puerto Deseado, ich wanderte einige Meilen ins Landesinnere , jene »gräuliche Fata Morgana«, die Bruce Chatwin beschwört. Auch nach ein paar Stunden Fahrt über Schotterpisten das gleiche Bild. Kieselsteine, nichts als Kieselsteine, in allen Pastelltönen, knapp fünfzehn Meter dick die Schicht nach Darwins Schätzung, auf einer Fläche von tausend mal dreihundert Kilometern. Würde dieses große Kieselfeld … zu einem Damm aufgehäuft, dann würde er eine große Gebirgskette bilden! Allein wenn man denkt, dass jedes einzelne [Steinchen] … gerollt, gerundet und weit transportiert worden ist, dann wird der Geist irre ob
der Vorstellung des langen, absolut notwendigen Vergehens der Jahre. Und dennoch wurde dies Geröll … weit später als die darunterliegenden … Tertiärmuscheln transportiert.
Unaufhörlich arbeitet die Erdkruste, wälzt sich um, verwirft sich und verwittert. Das Land … ist in der Periode der heute existierenden Seemuscheln als Ganzes angehoben worden. Wir spazieren am Meeresgrund, fossile Austern an seichten Hängen, ein Haifischzahn, zehn Millionen Jahre alt. Da hat schon vieles sein Ende gefunden, ist ausgestorben, untergegangen, wieder aufgetaucht. So gesehen erscheint die ganze Erde wie ein einziger riesiger Friedhof des Lebens.
Patagonien legt sich aufs Gemüt. Alles ist Stille und Trostlosigkeit. Dieses Wähnen, ganz allein auf der Welt zu sein auf der mächtigsten Schutthalde, die der Planet in Jahrmillionen angesammelt hat. Dennoch wecken diese Szenen … ohne auch nur einen heiteren Gegenstand darin ein schwer erklärbares, aber starkes, lebhaftes Behagen . Nicht behaglich, dazu ist dieser Teil des Erdballs allzu unwirtlich, sondern das Gegenteil von Unbehagen. Ein Gefühl planetarer Einsamkeit, hingeworfen losmarschieren, schweren Schrittes im Kies ohne Woher und Wohin, aber fühlen, dass man lebt. In einer Ewigkeit, in der unser Menschheitsexperiment nur eine kurze Episode darstellt. Das war schon hier, lange bevor es uns gab, und es wird auch noch hier sein, wenn wir längst nicht mehr sind. Man fragt sich, wie viele Zeitalter die Ebene schon so gewesen und wie viele noch so zu verharren sie verurteilt war.
Einmal der Erste sein - das gehört hier zum Lebensgefühl. Kein Baum war zu sehen, und mit Ausnahme des Guanakos, das gleich einem aufmerksamen Posten auf dem Hügel stand, auch kaum ein Tier oder Vogel. Ein Nichts, in dem ein Etwas alles ist. Wo die wenigen Dinge viel Aufmerksamkeit bekommen, so wie im Tropenland die vielen wenig. Im Alles ist das Etwas nichts.
Und so verläuft auch diese Reise von den warmen Wäldern durch die Pampa nach Patagonien von fast allem über wenig nach fast nichts. Die Augen werden klein von all dem Licht, im Urwald waren sie noch weit geöffnet. Die Optik der Aufmerksamkeit geht dagegen von kleinster Blende auf engste Schärfentiefe. Und was zeigt sie? Keine Städte, Straßen, Häfen, Häuser, Gärten oder Wälder. Hie und da sprießen Büschel eines braunen, drahtigen Grases und, noch seltener, ein paar Dornbüsche. Die Reinheit urwüchsiger, weitgehend unberührter Landschaft
kann das Denken befreien und eine Klarheit schaffen, die echte »Durchblicke« ermöglicht.
Gauchos in der Pampa haben Darwin erzählt, im Süden von Patagonien lebe eine zweite, sehr seltene Art des Laufvogels, die sie »Avestruz petise« nennen. Darwin sucht den »kleineren
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