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Darwin - Das Abenteuer Des Lebens

Titel: Darwin - Das Abenteuer Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Neffe
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zweiten wird die Strömung zu stark zum Rudern oder Segeln. Die Schiffe werden aneinandergebunden und von jeweils zehn Mann vom Ufer aus flussaufwärts gezogen. Trotz starken Gegendrucks durch das Wasser schaffen sie im Schnitt fünfzehn bis zwanzig Meilen am Tag, immerhin über dreißig Kilometer, Richtung Westen. Alle schleppen, Offiziere wie Matrosen, die auch das gleiche Essen teilen und Seit’ an Seit ums nächtliche Feuer schlafen. In all der lauernden Leere um sie herum haben die Männer nie das Gefühl, allein zu sein. Eine Wache von zwei Mann und einem Offizier wurde stets aufrechterhalten, deren Aufgabe es jeweils war, die Feuer am Leben und nach Indianern Ausschau zu halten . Ureinwohner bekommen sie nicht zu sehen. Frische Spuren signalisieren
ihnen aber, dass die Patagonier sie umgekehrt sehr wohl im Blick haben.
    Ich erreiche den Santa Cruz ungefähr an der Stelle, wo sie erstmals ihre Terra incognita betraten. Die Geschwindigkeit der Strömung … ist vielleicht sein auffälligstes Merkmal. Das Wasser ist von schöner blauer Farbe, jedoch mit einer leicht milchigen Trübung. Dieses Blau wirkt noch blauer als der Himmel selbst und das Wasser wie eingefärbt. Auf dem Land liegt der Fluch der Unfruchtbarkeit, ebenso auf dem Wasser. … Im Strom dieses öden Flusses gibt es nichts, was Leben fördern könnte .
    Wasser und Wüste. Ich habe immer geglaubt, wo genug Licht und Feuchtigkeit seien, da müsse es auch grünes Leben geben, zumindest entlang des Uferstreifens. Aber nichts, was über die spärlichen verbrannten Grasbüschel und vereinzelten Dornbüsche hinausginge. Umso erstaunlicher, dass sich hier eine vielfältige Fauna halten kann. So arm Patagonien in mancher Hinsicht ist, weist es vielleicht einen größeren Bestand an kleinen Nagern auf als jedes andere Land auf der Welt . Als ich auf dem monotonen Kiesbett neben dem ebenso eintönigen Fluss einhergehe, wuselt es immer wieder zwischen den Steinen.
    Man fragt sich, wovon die Kleinstsäuger sich ernähren. Mindestens ebenso bemerkenswert, warum sie sich in so viele Arten aufgespaltet haben. Aus heutiger Sicht, durch die Brille von Evolution und Ökologie, haben wir es mit Spezialisten zu tun, die ihre engen Nischen optimal besetzen. Die eine Spezies frisst diese Wurzel, die andere nagt jene Rinde. Darwin beobachtet eine weitere Nahrungsquelle. Die Mäuse scheinen alle Kannibalen zu sein, denn kaum war eine Maus in eine meiner Fallen geraten, wurde sie sogleich von einer anderen gefressen.
    Hunger macht erfinderisch, heißt es, und tatsächlich dürfte keine Kraft die Evolution der Tiere mit mehr Erfindungsreichtum ausgestattet haben als ihr Nahrungstrieb, direktester Ausdruck des individuellen Überlebenswillens. Erst dessen Befriedigung erlaubt dem Drang zur Fortpflanzung, eine Art von Überleben jenseits des eigenen Todes zu sichern. Jede sich bietende Nische wird früher oder später genutzt, die Nahrungsketten vernetzen sich, die einmal aus Sonnenlicht gewonnene Energie geht von den Pflanzen durch immer mehr Mägen.
    Mindestens so gut wie die Nager haben sich die Vögel an ihre Nischen angepasst. In Darwins Sammlung finden sich Finken, Spatzen, Lerchen und Spottdrosseln, Grasmücken, Goldhähnchen und, am beeindruckendsten,
die Geier. Ich schoss einen Kondor. Der Vogel hat mehr als zweieinhalb Meter Spannweite und misst vom Schnabel zum Schwanz weit über einen Meter. Oftmals habe ich, wenn ich mich auf den freien Ebenen zum Ausruhen niederlegte und nach oben schaute, in großer Höhe Caracaras durch die Luft segeln sehen . Die mächtigen Gleiter steigen über einen Kilometer weit in die Höhe. Sie da oben grandios einsam ihre Kreise ziehen zu sehen versöhnt für alle Ödnis der Steppe.
    Oft kreisen sie allein oder in kleinen Gruppen über der Piste, um sich gegebenenfalls über vierbeinige Verkehrsopfer herzumachen. Bei vorsichtigem Annähern kann man bis auf Steinwurfweite an sie herankommen. Es gibt wohl kaum einen krasseren Kontrast zwischen einem segelnden Vogel und demselben Tier am Boden als bei Geiern. Aus Grazie wird Garstigkeit, aus Reinheit Schmutz, wenn sie mit ihrem hässlich schädelnackten Kopf am Kadaver eines Fuchses, Nandus oder kleinen Guanakos zerren.
    Kommt man ihnen noch näher, steigen die scheuen Aasfresser auf. Diese tägliche Erfahrung auf jeder Provinzstraße in Patagonien könnte nach Meinung mancher Evolutionsforscher auch für die Menschwerdung in Afrika eine wichtige Rolle gespielt haben. Darwin stellt in

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