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Darwin - Das Abenteuer Des Lebens

Titel: Darwin - Das Abenteuer Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Neffe
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seinem Reisebericht bereits die richtigen Fragen: Wird ein Tier von einem Jäger … erlegt, könnte er nicht die ganze Zeit von dem scharfsichtigen Vogel von oben beobachtet werden? Und würde die Art und Weise seines Niedersinkens nicht der ganzen Familie von Aasfressern in dem Gebiet verkünden, dass ihre Beute bereitliegt?
    Wenn zu diesen Aasfressern auch Vormenschen gehört haben, so die Überlegung heutiger Forscher, dann könnten sie - auf zwei Beinen zu Läufen über weite Strecken imstande - das erlegte Tier erreicht haben, wenn das Mark in dessen Knochen noch frisch war. Die Geier waren schnell vertrieben. Doch um an das nahrhafte Mark zu gelangen, mussten die Menschen spitze Werkzeuge einsetzen - ein möglicher Beginn von Werkzeugherstellung, -gebrauch und -verbesserung.
    Nach drei Wochen auf ihrem Weg den Fluss hinauf gelangen FitzRoy und seine Männer an eine natürliche Grenze. Auch wenn sie alles gegeben, in bitteren Frostnächten kaum ein Auge zugetan und mehr als beachtliche zweihundert Kilometer zurückgelegt haben, neigt sich ihr Proviant dem Ende zu. Das gelegentlich erlegte Guanako schlägt bei so vielen hungrigen Mäulern kaum ins Gewicht. Zum nächsten
Ausläufer des Pazifiks im Westen des Kontinents sind es gerade noch hundert Kilometer. Dazwischen liegt unter weißer Decke die erhabene Kette der Anden. Da alle bereits auf halbe Zwiebackration gesetzt sind, gibt der Kapitän den Befehl umzukehren. Wir schauten zum Lebewohl noch einmal auf die Kordilleren, die wahrscheinlich in diesem Teil noch niemals von anderen europäischen Augen gesehen worden sind .
    Wieder eine herbe Enttäuschung. So betrachteten wir die großartigen Berge mit Bedauern, da wir uns ihre Natur und Erzeugnisse vorstellen mussten, statt, wie wir erhofft hatten, auf ihren Gipfeln zu stehen . Kaum fünfzig Kilometer trennen sie davon, als erste Menschen - nicht nur als erste Europäer - von dort oben einen Blick auf die patagonische Ebene zu werfen.
    Wie nahe sie ihrem Ziel tatsächlich waren, wird mir kurze Zeit später bewusst. Drei Tage noch, vielleicht vier, und sie hätten den Lago Argentino erreicht, auf dem sie bis an die Füße der schneebedeckten Berge hätten segeln können. Als echte Entdecker mit geeigneter Ausrüstung hätten sie weiter nördlich sogar Gletscher erblicken können, die noch keiner vor ihnen gesehen hatte. Sie liegen im heutigen Parque Nacional los Glaciares, der Zehntausende Touristen jährlich in den mondänen Luftkurort El Calafate lockt.
    Die elegante Kleinstadt vor unvergleichlichem Andenpanorama hält noch eine letzte patagonische Überraschung für mich bereit. Die Tankstellen sind geschlossen, der Treibstoff ist aus, zum ersten Mal seit sich die Bewohner erinnern können. Die Lastwagenfahrer streiken. Ein paar Tage könne es schon dauern, bis frischer Sprit geliefert werde. Ich versuche es mit »coima«, Bestechungsgeld. Irgendwo müssen doch noch ein paar Liter zu kriegen sein. Ein Tankwart zieht die leeren Taschen aus seiner Hose, und ich weiß, dass ich so nicht weiterkomme.
    Da sehe ich das Logo meiner Autovermietung. Vor dem Laden stehen frisch gewaschene, abfahrbereite Mietwagen. Da kommt mir eine, wie ich finde, wunderbare Idee. »Unmöglich«, sagt der Angestellte. »Ich kann doch nicht aus einem Auto Sprit abzapfen, bloß damit Sie Ihren Flug nicht verpassen.« - »Aber nur deshalb«, erwidere ich und erzähle ihm meine ganze Geschichte. Dass ich auf Darwins Spuren den ganzen Río Santa Cruz hochgefahren bin, dass ich am Abend den letzten Flug von Río Gallegos nach Feuerland kriegen muss, wo Darwin
als Nächstes war, dass ich dort auf ein Schiff steigen will, das nicht auf mich wartet, dass es eine ganze Woche keine freien Plätze auf der Strecke mehr gibt, dass mein ganzes Projekt …
    »Was hätte Darwin denn in Ihrer Situation gemacht?« Wie im Schnelldurchgang spult sich seine gesamte Reise vor mir ab, Landausflüge, Wanderungen, Ritte. »Er hätte die Pferde gewechselt«, sage ich eher beiläufig. Da greift sich der Mann einen Schlüssel, drängt mich aus dem Laden, stellt sich vor einen der vollgetankten und frisch gewaschen Wagen und sagt: »Schade, dass Sie nicht ein paar Tage in unserer Stadt bleiben können. Wir haben hier wunderschöne Berge. Der höchste hätte Sie sicher interessiert.« - »Ich komme wieder«, rufe ich, als ich den Wagen starte. »Wie war das mit dem höchsten Berg?« - »Er ist 3405 Meter hoch und heißt Cerro Fitz Roy.«

9
    Feuerland

    Puerto

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