Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
der Welt zu schlagen aufgehört. Nachtfahrt über Pisten von Feldwegqualität. Nach Stunden endlich ein Licht im Niemandsland. Ein Haus. Josefina Behm - »alle nennen mich Pepa« - sitzt neben einer Petroleumlampe. Sie raucht, als wolle sie einen neuen Weltrekord im Verbrennen von Tabak aufstellen. Tochter Lorena bringt Wasser. Deutsche Abstammung, ja, ihr Mann, Hamburg, lange her, ist kürzlich gestorben. Hat ihr diese 21400 Hektar hinterlassen, die sie nur wegen der prähistorischen Kunst gekauft haben. Auch eine Form von Geldanlage.
Frühmorgens fährt mich Pepa zur Schlucht, wo die Höhlen liegen,
und darin ihre »Heiligtümer«. Grobe Striche, wie mit Fingerkuppen gezogen, aber auch feine Zeichnungen wie von Stift oder Pinsel, Tiere wie in Altamira, Jagdszenen, geheimnisvolle Muster, Symbole, Sonnen, sogar ein Kreuz - und dann, endlich, die Hände. Manchmal nur eine, am Rand eines Gemäldes, wie die Signatur eines Künstlers, woanders ganze Wände voll, nichts als Hände, Selbstverewigung in Form von Steinzeitgraffiti, etwa genauso alt wie die versteinerten Fußspuren ihrer Artgenossen am Strand bei Punta Alta und genauso lebendig.
Hier müssen sie gestanden haben, die eine Hand mit gespreizten Fingern flach auf den Fels gelegt, mit der anderen Farbe darüber gesprüht, wahrscheinlich mit einem Blasrohr. Zurück bleiben wolkige Spuren, grob gegen die eigentlichen Kunstwerke, die nun jedoch merkwürdig leblos wirken in ihrer Distanz und Abstraktheit. Die Hände aber liegen wie Platons Schatten als wache Seelen auf dem Stein.
»Diese nenne ich die Höhle des Lebens«, sagt Pepa, »eine Enzyklopädie, die damals jeder lesen konnte.« Hier hätte ich gerne mit Darwin gestanden, der so wenig Neues zur menschlichen Hand zu sagen hat. Zweibeinigkeit, Befreiung der vorderen Gliedmaßen, Werkzeuggebrauch, das ja. Und die große Frage, wie sich so ein kompliziertes körpereigenes Werkzeug in unzähligen kleinen Schritten durch natürliche Auslese gebildet haben könnte. Aber Hände, die zeigen und reden, Ausdrucksmittel lange vor der Sprache, fühlende Teile des Ichs, die sich selber begreifen und bewusst verewigen können? Hier haben wir sie vor uns, die ersten Bindeglieder zwischen Biologie und Kultur, auf dem Weg vom Handeln und Handwerk bis zu Handel, Handschrift und Behandlung.
Die Beagle macht noch einmal halt in der Mündung des Río Santa Cruz. Der Kapitän lässt den Rumpf auf Vordermann bringen. Ein Tauchgang hat gezeigt, dass der Kiel bei der Felsberührung in Puerto Deseado etwas abbekommen hat. FitzRoy nutzt die Flut. Das Schiff wurde auf das Ufer gelegt. Das Bild von der seitlich liegenden Beagle, wie hilflos gestrandet, gehört zu den dramatischsten der ganzen Reise. Besonders wenn man heute unter der Steilküste von Puerto Punta Quilla, wo die Aktion stattgefunden hat, auf dem schrägen, schmalen
Kiesstrand steht. Dabei gehörte das damals zur Routine wie dieser Tage ein Kolbenringtausch.
Es stellte sich heraus, dass einige Teile ihres Vorkiels abgeschlagen waren, doch das ist kein bedeutender Schaden; eine Tide reichte aus, sie zu reparieren, und nach Mittag schwamm sie schon wieder . Nach der Reparatur gibt FitzRoy seiner Abenteuerlust nach. Er weicht vom Plan der Admiralität ab und - noch ein Novum in Patagonien - rüstet eine Expedition mit drei Walfangbooten aus, um den Río Santa Cruz hinaufzufahren. Wir hatten für drei Wochen Proviant, und unsere Gruppe bestand aus 25 Leuten; wir waren alle gut bewaffnet und hätten einer Feindseligkeit der Indianer trotzen können.
Einmal der Erste sein - für FitzRoy wird sich diese Eskapade ins Neuland auszahlen: Ein Jahr nach der Rückkehr in die Heimat verleiht ihm die Royal Geographical Society für die Erkundung den »Royal Premium«, eine hohe wissenschaftliche Auszeichnung. Wer sein Reisetagebuch liest, kann den Eindruck gewinnen, er beneide den vogelfreien Naturforscher an seiner Seite fast um dessen Arbeit. Wenn möglich, sammelt auch er Proben von Gestein und Exemplare von erlegten Tieren.
Ansonsten verraten die Tagebücher der beiden, wie gut sich die Gentlemen verstehen. Die Scherze in ihren Briefen während der Reise, wenn sie einmal länger getrennt sind, sprechen die Sprache herzlicher Vertrautheit. Besonders FitzRoy läuft immer wieder zu Hochform auf, wenn er Freund »Philos« auf Latein über den »seltensten Vogel an Bord« zuruft: »Est avis in navibus Carlos rarissima Darwin.«
Die Expedition dauert fünfundzwanzig Tage. Schon am
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