Darwin - Das Abenteuer Des Lebens

nach Darwins Regeln existierten. Dieses Land birgt einen letzten Hauch des Heiligen der Göttin Gaia, die Ahnung einer unberührten, sich selbst überlassenen Erde.
    Eisberge wie Fabelwesen, Fantasiegebäude, futuristische Landschaften, kaltes Weiß und alle Blautöne von Azur über Kobalt bis Türkis. Gesichter, Gespenster, Drachen - und die Vorstellung, dass hier in winzig kleinen Poren das Leben geboren worden sein könnte. Das knackt und kratzt und knarrt und kracht, als wollte es uns etwas sagen. Und wenn das Schiff auf eine Scholle trifft, dann klingt es, als schlüge ein mächtiger Hammer auf eine Tonne. Auch vier Zentimeter Stahl der Eisklasse 4 sind nur wenig angesichts der unheimlichen, eisigen Tiefen.
    Hier meldet sich das Gewissen mit widersprüchlichen Signalen: Sollte nicht jeder Mensch die Chance haben, dieses einmalige Naturreservat einmal im Leben zu sehen, die Stimme des Eises zu hören? Nicht nur wir Privilegierten, die sich im schwimmenden Viersternehotel mit Sauna, Fitnessraum und Spitzenrestaurant unterwegs zwischen gewürzhonigglasierter Poulardenbrust auf Spargelgemüse und Steak von der Hochrippe an einer Balsamicoreduktion als letzten Kick ein Gruppenfoto mit Weddelrobben gönnen? Oder sollte nicht (nach uns) am besten niemand mehr diese noch immer halbwegs intakte Welt betreten?
    Alle weltpolitisch wichtigen Nationen haben den Antarktisvertrag von 1959 und das Umweltschutzprotokoll von 1991 ratifiziert oder sind ihnen beigetreten. Wenigstens diesen letzten Kontinent darf kein Staat besitzen. Er soll ausschließlich friedlichen und wissenschaftlichen Zwecken dienen. Die Errichtung militärischer Stützpunkte ist ebenso streng verboten wie Manöver oder die Verwendung nuklearen Materials.
    Touristen müssen strenge Hygienemaßnahmen beachten. Auf der Bremen gibt es eine eigens entwickelte Stiefelwaschanlage, damit möglichst wenig biologisches Material von einem Ort an den anderen getragen wird. Und dennoch - je mehr Menschen das Land betreten, desto größer wird die Gefahr, dass sie fremde Arten einschleppen und die empfindlichen Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringen. Auf
Südgeorgien macht sich seit ein paar Jahren die Bitterkresse breit und drängt das heimische Tussokgras zurück, das Pinguine zum Nestbau benutzen.
    Die längerfristig größte Bedrohung für die Antarktis geht jedoch vom wachsenden Rohstoffbedarf der Menschheit aus und nimmt mit jedem Ansteigen der Preise für Bodenschätze zu. Das dürfte auch der Hauptgrund sein, warum trotz Unterzeichnung des ersten global vereinbarten Gebietsvertrags sieben Staaten auf ihren alten Territorialrechten beharren. Ausnahmsweise nicht die USA, die allerdings direkt auf dem Südpol eine Forschungsstation betreiben, aber die alten Weltmächte Großbritannien und Frankreich, dazu Norwegen sowie die »Anrainerstaaten« Australien, mit dem größten Gebietsanspruch, Neuseeland, Chile und Argentinien.
    Die beiden südamerikanischen Länder und das Vereinigte Königreich erheben überlappende Ansprüche, die das Filetstück einschließen: die antarktische Halbinsel. Ihre Spitze liegt nur tausend Kilometer von Kap Hoorn entfernt. Am ärgsten tut sich trotz seines riesigen Terrains das gebietshungrige Argentinien hervor. In Ushuaia zeigen einem die Leute nach dem Abendessen Propagandafilme, in denen mit allerlei Argumenten, dramatischen Bildern und viel nationalem Tamtam das Tortenstück zum Territorium des eigenen Landes erklärt wird - so wie es die überall erhältlichen Karten des Landes auch zeigen.
    In ihrer Station »Esperanza« auf antarktischem Festland tragen die Männer Uniformen und Anoraks mit »Argentina Bicontinental«-Aufnähern. Keineswegs aus Jux, sondern offiziell: Das Land unterhält hier unverblümt einen Militärstützpunkt, wo Soldaten mit Kind und Kegel leben und ihren Dienst verrichten. Im Jahr 1978, noch unter den Generälen, beging es einen nicht wiedergutzumachenden Sündenfall. Bis dahin war die Antarktis der einzige Kontinent, auf dem noch nie ein Mensch geboren worden war. Die Regierung in Buenos Aires ließ eine Schwangere einfliegen, die am 7. Januar dort den Jungen Emilio Marcos Palma zur Welt brachte.

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    Kap Hoorn

    Die Monsterwelle · Materialschaden · Landgang am Kap · Puerto Williams · Ausflug nach Wulaia · Sprung ins kalte Wasser · Das gescheiterte Experiment · Jemmy Buttons Schicksal
     
     
    Manche Orte haben nichts zu verlieren außer ihrem Ruf. Aber der ist alles. Das alte, wetterharte Kap