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Darwin - Das Abenteuer Des Lebens

Titel: Darwin - Das Abenteuer Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Neffe
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der Hände die immer ausgefeiltere Geste, begleitet von primitiven Urlauten.
    Doch fast alles, was das Menschsein ausmacht, ist selbst in »primitiven« Gesellschaften mehr oder weniger von dem geprägt, was Menschen von Menschen lernen. Während auf Titelseiten von Magazinen und im Diskurs der Feuilletons nach wie vor der unseligen Lust am Tier im Menschen gefrönt wird, macht sich unter nachdenklichen Wissenschaftlern allmählich eine andere Sichtweise breit: Der Mensch ist weniger als jedes andere Säugetier biologisch als Einzelwesen zu begreifen. Der Hirnforscher Walter Freeman im kalifornischen Berkeley hat das mit seiner Hypothese von der »society of brains« auf den Punkt gebracht.
    Neben den genetischen haben die von Mensch zu Mensch kulturell weitergegebenen Eigenschaften und Fähigkeiten mehr und mehr an Gewicht gewonnen. Vom Wissen um das Feuermachen, das nicht in jeder Generation neu erworben werden muss, bis hin zu modernen Feuerwaffen, von der verbalen Vermittlung einfachster Tipps bis zur modernen Satellitenkommunikation setzt sich in der biologisch einheitlichen Spezies Mensch auf Dauer die höher entwickelte Gruppe durch - und zwar auch jenseits der Gene.
    Die kulturelle dürfte aber die biologische Evolution in gleicher Weise vorangetrieben haben wie umgekehrt. So ist es möglich, dass etwa Erfindung und Gebrauch neuer Werkzeuge die Verfeinerung der Handanatomie gefördert haben - die dann wiederum zu besseren Werkzeugen führte. Bei alledem hat die Gattung Homo, als sie ihre äffische Vergangenheit hinter sich ließ, sich auf einen riskanten Weg
eingelassen. Ob die Menschheit eine Überlebenschance hätte, fiele sie auf ihrem heutigen biologischen Stand kulturell noch einmal hinter die Beherrschung des Feuers zurück, das weiß Kaspar Hauser allein. Wir haben viel zu gewinnen und alles zu verlieren.
    Wie entscheidend mögen herausragende Einzelleistungen für Evolution und Entwicklung der Menschheit gewesen sein und weiterhin bleiben? Der entscheidende Schritt, den der oder die eine weiter tut als der Rest? Der Funke, der zur Explosion des Neuen führt? Ernest Shackleton liegt am Rande der ehemaligen Walfangstation Grytviken begraben. Kapitän Felgner lässt es sich nicht nehmen, die traditionell übliche Ansprache am Grab des Polarforschers zu halten und mit den Passagieren der Bremen sowie dem Leiter des britischen Außenpostens mit einem - natürlich eiskalten - Klaren auf Shackletons Heldentaten anzustoßen.
    Die Geschichte der Entdeckungen zeigt, dass es oft »nur« ein letzter Schritt ist, der zu grundlegenden Neuerungen führt. Davor liegt, bei Darwin wie bei Einstein oder Planck, in der Regel eine Gemeinschaftsleistung der vielen kleinen Schritte, Erkenntnisse und Erfindungen. Bis schließlich die Zeit reif ist und ein heller Geist sie auf den neuen Nenner bringt. So wie in der biologischen Evolution immer weitere Systeme und Komplexitätsstufen integriert werden, so baut auch die kulturelle auf unzähligen, miteinander verwobenen Fundamenten auf.
    Der geistige Höhenflug des HOMO SAPIENS ist mit Biologie allein ohnehin nicht erklärbar. Der amerikanische Entwicklungspsychologe Michael Tomasello, Direktor am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, hat ein Szenario für »Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens« entworfen: Ein einziger entscheidender Schritt in der biologischen Evolution könnte seiner Ansicht nach ausgereicht haben, um unsere Ahnen in den Stand zu versetzen, jenseits von Mutation und Selektion zum Kulturwesen aufzusteigen.
    Tomasello schlägt einen »Ratschen-Effekt« als Mechanismus vor: Jeder neue Entwicklungsschritt baut demnach auf dem Vorhandenen auf, wobei wie bei einer Ratsche das Zurückrutschen in frühere Zustände verhindert wird. Diese stabilisierende Komponente des Systems hält er für wesentlicher als die kreative: Nicht das Erfinden neuer
Qualitäten und Kapazitäten stelle die eigentliche Leistung dar, sondern das Bewahren und Anhäufen des jeweils Erreichten. Lange Nächte am Feuer, Mußestunden inmitten der Mühsal, in denen Menschen vor Erfindung der Schrift einander ihr rasch anwachsendes Wissen einschließlich aller Metaphysik allein durch Zeigen und Erzählen weitergeben mussten. Ohne den Drang, zu wissen und zu vermitteln, wäre die Menschheit bei allem biologischen Fortschritt auf der Stelle stecken geblieben.
    Was uns vor allen anderen Lebewesen, auch den nächsten Verwandten, auszeichnet, ist unsere

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