Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
im Krähennest immer wieder zurufen zu hören, auch leewärts zu schauen.
Von der Großwetterlage hat die Beagle-Mannschaft keine Ahnung. Sonst hätte der Kapitän vielleicht darauf verzichtet, das Kap zu umrunden. Womöglich liegen in diesem Moment die Gründe für seinen Beitrag zur Geschichte der Zivilisation. Der besteht nicht darin, den jungen Forscher sicher um die Welt und wieder nach Hause gebracht zu haben. Nach seiner Heimkehr und etlichen Fehlschlägen - unter anderem scheitert er als Gouverneur von Neuseeland - wird er, während Darwins Evolutionstheorie entsteht, ein eigenes Werk von Bedeutung verfassen.
Schon Mitte des 19. Jahrhunderts gibt FitzRoy tägliche Wetterberichte heraus, die in Zeitungen veröffentlicht werden. Als Chef der neu geschaffenen »Meteorologischen Sektion« veröffentlicht er 1862 das »Weather Book«. In Anbetracht der Bedeutung des Themas und seiner Leistung gebührt ihm eigentlich mehr Ehre: Robert FitzRoy gilt als Vater der Wettervorhersage. Doch genau diese grandiose Erfindung bricht ihm gleichsam das Genick. Seine Prognosen liegen oft komplett daneben. Wie auch nicht, bei der damals dünnen Datenlage? So wird der Wetterfrosch zum Sündenbock. Die ständige Kritik nagt am Gemüt. Als sich auch sein körperlicher Zustand verschlechtert, sucht er die gleiche letzte Lösung wie schon sein Onkel und sein Vorgänger und nimmt sich am 30. April 1865 das Leben.
Was FitzRoy aber am 13. Januar 1833 vor Kap Hoorn erwartet, das hätte ihm kein Wetterbericht verraten können. Dazu hätte es eines Tsunami-Frühwarnsystems bedurft. Eine der gefürchteten Monsterwellen, vermutlich durch ein pazifisches Seebeben verursacht, rollt auf die Beagle zu. Um Mittag brach eine schwere See über uns hinweg und füllte eins der Walboote, was dann sofort abgetrennt werden musste. Die arme Beagle erzitterte von dem Schock und gehorchte einige Minuten lang nicht ihrem Ruder.
… Wäre der ersten See eine weitere gefolgt, so wäre unser Schicksal schnell und auf immer besiegelt gewesen.
FitzRoy spricht sogar von »drei riesenhaften Wogen, deren Größe und Steilheit mir sofort verrieten, dass unser Ozeanschiff, so gut wie es war, nun schlimm geprüft werden würde«. Die erste dreht die Beagle schräg, die zweite wirft sie vollends aus der Bahn, und die dritte legt sie bedrohlich weit auf die Seite. Auf Deck steht fast ein Meter Wasser. Erst als Matrosen die Abflussluken aufreißen können, richtet sich das Schiff wieder auf. Nun hat auch FitzRoy genug. Nach vierundzwanzig Tagen Kampf - die Männer waren von Müdigkeit erschöpft und hatten viele Tage und Nächte nichts Trockenes mehr auf dem Leib - gibt der Kapitän die Umrundung des Kaps endlich auf.
Darwin hätte auf das Abenteuer gut verzichten können. Ich entdecke, dass ich einen irreparablen Verlust durch das gestrige Desaster erlitten habe, da mein Trockenpapier und meine Pflanzen von Salzwasser durchnässt sind. Vor wenigen Tagen ist mir in der Antarktis etwas Vergleichbares passiert. Die gesamte Zeit über hat meine Kaffeetasse auch bei bewegter See sicher und fest auf dem Schreibtisch in meiner Kabine gestanden. Plötzlich tut es einen Schlag, der unwillkürlich die Gedankenkette Eisberg-Titanic-Explorer auslöst. Ich sehe noch, wie die Tasse kippt - nichts widersteht der Kraft einer schweren See - und sich über meinen Laptop ergießen will. Da hat meine Hand auch schon zugepackt - und den Monitor erwischt. Aber mein Griff ist zu fest. Die linke obere Ecke ist eingerissen und erblindet. Noch kann ich schreiben. Doch der Riss wächst täglich weiter. Er kriecht über den Bildschirm wie die Lunte einer Zeitbombe.
Kap Hoorn ist uns gnädig. Letzte Anlandung von Bord der Bremen im Zodiac. Noch einmal singen die lachenden Filipinos der Crew ihren Standardspruch: »Leinen los und - gute Reise!« Kapitän Felgner weiß um sein Glück, als er sich auf der Insel vor dem Albatros-Denkmal ablichten lassen darf. »Das sind diese magic moments«, murmelt er. Für die sich das alles lohnt, denke ich. Wir teilen die Freude mit den Passagieren eines alten russischen Polarschiffs. Reihen von Rotjacken klettern über die Holztreppe die Steilküste nach oben. Auf halbem Weg steht eine Gedenktafel, die an den »Vicealmirante Robert FitzRoy« erinnert. Doch weder seine wissenschaftliche Leistung wird erwähnt
noch sein Ruhm als Darwins Kapitän. Hier zählt nur eins: Am 19. April 1830, bei seiner ersten Fahrt ohne Darwin, hat er die Insel betreten. Damit
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