Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand
wenn ellenlang erörtert wird, was Goethe wohl gemeint hat, als er Charlotte im Werther dieses oder jenes sagen lässt, oder warum der Dichter an einer bestimmten Stelle die Vokabel xy benutzt hat. Auch hier wird sicher viel hinein- bzw. fehlinterpretiert, woran der nicht mehr wehrhafte Autor vermutlich nie gedacht hat. In der Malerei oder bei anderen künstlerischen Tätigkeiten sieht es sicher nicht anders aus. Aber keiner der großen Poeten, Maler, Bildhauer oder sonstigen Kapazitäten ist wohl so von seinen Nachfahren mit einer vergleichbaren Verunglimpfungskampagne bedacht worden, wie es dem britischen Naturforscher heute mit einer hartnäckigen Kontrafraktion widerfährt. Durch die Fiktionen der Anti-Darwinisten werden die Kernpunkte des Evolutionsmodells verdreht oder sogar ins Gegenteil verkehrt. Wie jeder gute Literat hat auch Darwin den Wortschatz seiner Muttersprache ausgenutzt. Schon in der Grundschule lernen wir die Verwendung von Synonymen zur Vermeidung von Wortwiederholungen in kurzer Abfolge. Zwar zeichnen sich Synonyme selten durch 100%ige Sinngleichheit aus, doch lässt der Kontext meist klar erkennen, was von Fall zu Fall gemeint ist. An früherer Stelle wurde bereits erwähnt, dass Darwin bei der zentralen Evolutionsthematik für den Überlebenskampf alternierend die Vokabeln „
struggle
“, „
battle
“ und „
competition
“ verwendet, gelegentlich auch vom „
war of nature
“ spricht. Dass Darwin hier Konkurrenz und Wettkampf gemeint haben könnte, dabei die Härte des (Über)Lebens in der Natur durchaus auch mit Krieg umschreibt – aber ohne gedankliche Verbindung zu menschlichen Vernichtungsperversitäten –, passt den Kritikern einfach nicht ins Konzept. Sie sprechen prinzipiell von Vernichtung, Schlacht, Ausrottung, Zerstörung und Mord, bestenfalls einmal von Tötung. Die rein destruktive Ausrichtung des gesamten Evolutionsmodells wird klar hervorgehoben und als Darwins Sicht der Natur verkauft. Diese einseitige Akzentuierung liefert ein völlig Darwin-fremdes Bild von der Art des Überlebenskampfes, vermittelt den Anschein einer gewalttätigen Direktkonfrontation zwischen verfeindeten Individuen (artgleichen wie artfremden) bzw. ganzen Populationen. Auf den Menschen trifft das bisweilen zu – aber nur auf den Menschen. Offensichtlich sind die Kritiker hier voll und ganz dem humanen Tunnelblick verfallen, der jede Form des Wettstreits in den Fokus einer niedermotivierten kriegerischen Auseinandersetzung zu Expansionszwecken (Macht, Raum) stellt. Aber gottlob sind wir die einzigen Existenzen, die solchen Wettkampfpraktiken anhängen, und wir werden hoffentlich nie Nachahmer finden. Als Newcomer auf dieser Erde überschätzen wir unseren Einfluss erheblich. Wenn wir einen Krieg mit der Natur anzetteln, haben wir keine Chance. Wenn die Natur zurückschlägt, unsere Sünden bestraft, wird das menschliche Leben ausgehaucht. Unsere Umweltsünden mit Problematiken wie Ozonloch, Klimawandel, Vermüllung etc. geben uns einen zarten Vorgeschmack. Wir sind nicht der Nabel der Welt, vielleicht gar nur ein Appendix im globalen Gefüge, in jedem Fall aber zu unbedeutend, unsere Maßstäbe der Natur aufdrücken zu dürfen. Für unser Kriegsverständnis gilt dies zuallererst. Der natürliche Überlebenskampf funktioniert anders. Aber für die Kritiker war Darwin ein Mensch und damit hatte sein Verständnis vom Überlebenskampf ein mörderisches zu sein. Mit dieser haltlosen Unterstellung glaubt man an der Hauptverstrebung des Evolutionsmodells sägen zu können, freilich ein unfaires Verfahren. Man versucht, eine Schraube am Baugerüst zu lockern, um den Gerüstbauer wegen angeblich fehlender Stabilität verklagen zu können. Was hier eine Straftat ist, muss Darwin wehrlos über sich ergehen lassen. Wer das erkennt, wird nicht an der Plausibilität des Modells zweifeln.
Die nächste sinnentstellende Fehlinterpretation lässt nicht lange auf sich warten. „Dauerhafter Wandel“ heißt das Reizthema. Darwin hat sein Werk nicht von ungefähr „
Von der Entstehung der ARTEN
“ genannt. Er hat es nicht mit „Wandel der Individuen“ oder „Höherentwicklung von Einzelvarianten“ überschrieben. Natürlich betreffen DNA-Veränderungen, Mutationen und Rekombinationen zunächst Einzelorganismen. Aber erst wenn solche Neuerungen weitergegeben und in nachfolgenden Generationen innerhalb einer Population aufgrund ihrer Nützlichkeit konserviert werden, verändert sich dauerhaft etwas.
Weitere Kostenlose Bücher