Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand
zu spielen.
Der Mensch – ein überschätztes Wesen?
Es sieht also tatsächlich so aus, als seien wir das Produkt eines ganz normalen evolutionären Trends, eines Astes auf dem Lebensstammbaum, den man vielleicht als „Hirnast“ bezeichnen könnte. Wohin er führt, wissen wir nicht. Aber die verbreitete Annahme, unsere intellektuellen Leistungen würden uns zu einem Unikat machen, dem der Absprung aus der Abhängigkeit von der natürlichen Evolution vorbehalten ist, lässt sich nicht bestätigen. Es mag verlockend sein, unsere bislang wohl einmaligen kognitiven Leistungen herauszuheben, die etwa in den Fähigkeiten des Lernens, Erinnerns, Planens und unserer Kreativität ihren Ausdruck finden. Aber eine prinzipielle Abkopplung von den sogenannten reaktiven Leistungen, also der Fähigkeit, natürliche Umweltreize differenziert zu verarbeiten (z. B. Muskel- und Sinnesphysiologie, Immunantwort), wäre unbegründet. Moderne Forschungsergebnisse legen nahe, dass die menschliche Kognition direkt auf den normalen reaktiven Hirnleistungen aufbaut. Es handelt sich prinzipiell also um keine komplett abtrennbare Qualität. Unser Intellekt ist somit gar nicht so exorbitant, wie unsere Eitelkeit das gern sähe. Wenn wir nur auf die Lern- und kreativen Fähigkeiten unserer nächsten Verwandten, der Menschenaffen, schauen, können wir erahnen, dass unsere gedachte Einmaligkeit gar nicht so einmalig ist. Wir sind Teil des globalen natürlichen Systems und können uns von den Gesetzen seiner Entwicklung nicht loslösen. Der amerikanische Schriftsteller und Journalist Ambrose Bierce (1842–1914) nannte das Gehirn „
ein Organ, mit dem wir denken, dass wir denken“
. Unser Denken aber ist eingefangen im Korsett unserer biologischen Vorgaben. Wir können uns über das Leben und seine Zukunft Gedanken machen, werden aber nie zum wertfreien Urteil eines neutralen Juroren gelangen. Aber ebenso sicher handelt es sich um eine irrige These der Darwin-Gegnerschaft, der Darwinismus sei ein auf die menschliche Existenz zugeschnittenes kriegerisches Evolutionsmodell. Die Initiatoren von Krieg und Vernichtung haben (zu) viele blutige Entwicklungen begründet, aber langfristig noch nie eine Erfolgsspur gelegt, und das wird auch so bleiben. Gemessen an der Kürze seines Daseins, hat der Mensch mit seiner ubiquitären Ausbreitung eine durchaus beeindruckende Karriere hingelegt. Selbst die entlegensten Flecken auf unserem Planeten werden vom Menschen bewohnt. Unter den höheren Wirbeltieren haben wir eine bislang einmalige Verbreitung erlangt, haben es als einzige „Tierart“ geschafft, in allen Klimazonen sesshaft zu werden. An die heute herrschenden Umweltgegebenheiten scheinen wir recht gut adaptiert, haben körperliche Defizite durch kognitive Leistungen kompensiert. Und selbst unsere größte Schwäche, die regelmäßigen Selbstvernichtungsszenarien, haben das globale Bevölkerungswachstum nicht zum Erliegen gebracht. Wie wir zukünftig mit daraus resultierenden Problemen fertig werden, wird sich zeigen. Über unsere Flexibilität hinsichtlich eintretender Veränderungen klimatischer Natur lassen sich allenfalls Spekulationen anstellen. Die „via humana“ ist eine Straße mit unbekanntem Ziel, oder wie Mark Twain so treffend bemerkte: „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ Niemand kann erahnen, wie sich die Bedingungen auf der Erde konkret verändern, doch die prinzipiellen Mechanismen der Evolution – Veränderung und Auslese – werden ihre Gültigkeit behalten. Die derzeit von fehlender Einsicht getragene Gegenbewegung – dieser nicht religiös motivierte Anti-Darwinismus – wird eine evolutionäre Eintagsfliege bleiben. Tag für Tag verstärken neue Forschungsergebnisse das Fundament des Evolutionsmodells, das den Status einer Theorie eigentlich längst hinter sich gelassen hat – einen Status, den andererseits das Anti-Darwin-Komplott nie erreichen wird.
Mitgefangen, mitgehangen!
Die gesamte vorangegangene Diskussion um unseren Status, um Natürlichkeit und Künstlichkeit sowie unsere Position auf dem Lebensstammbaum, ändert nichts an der grundlegenden Erkenntnis, dass Homo sapiens ein Produkt der biologischen Evolution ist und damit quasi ein Gefangener des Systems, dessen Funktionsweise er zu ergründen versucht. Ein solches Unterfangen ist nicht allein aufgrund der fehlenden Möglichkeit einer wertfreien Außenansicht so schwierig. Es setzt unserem Forschungshorizont auch klare zeitliche
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