Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand
wirklichen Antriebskräfte der Natur zu identifizieren – diese Erkenntnis ist unausweichlich. Bescheidenheit tut not –auch wenn sie nach François de La Rochefoucauld (1613–1680) die „
schlimmste Form der Eitelkeit
“ ist.
Nur Vergangenes ist gewiss – warum Mark Twain recht hat
Erinnern Sie sich an Mark Twains Bonmot? „
Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen
.“ Sehr wahrscheinlich hat er nicht unbedingt an die Arbeit seines Zeitgenossen Charles Darwin gedacht, als er diese Weisheit zum Besten gab. Dabei trifft sie die Sache auf den Kopf, wenn es um unser Bemühen geht, Merkmalsveränderungen im Hinblick auf ihre zukünftige Eignung zu beurteilen. Darwins Kritiker monieren, der ominöse Fitness-Begriff sei nichts anderes als eine sinnleere Phrase, die dazu diene, stabile Merkmalskombinationen, deren Vorteil nicht erkennbar sei, auf den Olymp der Eignung zu erheben. Dahinter verbirgt sich der Vorwurf der Besserwisserei. Die Anhänger der Evolutionstheorie machten es sich demnach ziemlich leicht. Sie schauten einfach, was überlebt hat („survival of survivors“), und redeten dann klug daher, warum dieses und jenes Merkmal besonders positiv sei und seinem Träger einen Fitnessgewinn brächte. Auf irgendwelche Vorhersagen jedoch, wie sich bestimmte Eigenschaften in der Zukunft wohl bewähren würden, ließe sich kein Darwinist ein. Letztere Aussage trifft in der Tat voll und ganz zu. Evolutionsforschung ist keine Hellseherei, keine voraussagende Wissenschaft. Das ist allein schon in der Tatsache begründet, dass niemand verlässliche Aussagen über die zukünftige Stabilität oder Veränderung der abiotischen Umweltfaktoren (Klima, Meteoriten, Katastrophen etc.) machen kann. Die Anpassungsgüte ist aber stets nur im engen Abgleich mit den aktuell herrschenden Umweltbedingungen zu bewerten. Was sich heute optimal eignet, kann in 100 000 Jahren verschwunden sein, da es den dann herrschenden Anforderungen nicht gerecht wird. Evolutionäre Fitness ist wesentlich komplexer, als es in einer Reduzierung auf physische Stärke oder überragenden Intellekt zum Ausdruck käme. Jegliches Orakeln um zukünftige Fitness spezieller Merkmalskombinationen wäre rein spekulativ. Es ist richtig, dass eine Eignung, die Qualität einer Anpassung, generell nur im Rückblick zu beurteilen ist. Das liegt keineswegs allein an unserer ausführlich behandelten Voreingenommenheit aufgrund unseres Wertekorsetts. Die Frage „wer oder was ist fit?“ lässt sich prinzipiell nur mit einem „der bzw. das, was überlebt hat“ beantworten. Einzig der Blick zurück bringt Klarheit. Nur wenn wir wissen, welche Merkmale sich gegen die Konkurrenz durchgesetzt haben, lässt sich über das „Warum“ diskutieren. Darwins
survival of the fittest
bedeutet Überleben der am besten Angepassten. Aber wer ist unter den Tausend und Abertausend ständig neu entstehenden Merkmalskombinationen am besten angepasst? Der, der überlebt hat.
Survival of the fittest
bedeutet für unser Urteilsvermögen tatsächlich
survival of survivors
. Diese wahrlich überwältigende Logik mag dem einen oder anderen doch zu sehr nach biederer Hausfrauenlogik oder gar wie ein klassischer Pleonasmus nach Art des weißen Schimmels klingen. Aber man kann unsere Pflicht zur Bescheidenheit nicht oft genug betonen. All unseren intellektuellen Potenzen zum Trotz sind wir zu mehr als rückblickender Erkenntnis nicht fähig. Und selbst da ist nicht alles erklärbar. Das betrifft auch unsere eigene Entwicklung. Irgendwann während unserer Stammesgeschichte muss uns die Spezialisierung unserer Gehirne einen entscheidenden Selektionsvorteil verschafft haben. In welcher Situation, unter welchen Milieubedingungen das genau geschehen ist, wird heiß diskutiert. Es soll gar nicht verhohlen werden, dass Interpretation und Spekulation stets eine wesentliche Rolle in der Evolutionsforschung spielen. Besonders deutlich wird uns das bei der Arbeit der Paläontologen vor Augen geführt. Das Glück, auf ein vollständig erhaltenes Skelett zu stoßen, widerfährt den Fossiliensuchern doch recht selten. Gerade der Laie ist oft verblüfft, welche Schlüsse die Wissenschaftler aus dem Fund einzelner Zähne oder Knochenfragmente ziehen. Wenn etwa aus der Beschaffenheit eines fossilen Zahns auf die Art der Nahrung rückgeschlossen oder aus einem Kieferfragment die Schädel- und Hirngröße rekonstruiert wird, erscheint das ja durchaus noch verständlich. Aber wären
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