Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand
und Allianzenbildung zulässt und damit eine produktive Streitkultur fördert, ist das Prinzip der biologischen Evolution auf alle Bereiche der menschlichen Existenz anwendbar. Das schließt die Entwicklung von Kultur, Kunst, Sport und auch von Ideen und Werten mit ein. So hat der Begriff der „Ideenevolution“ längst Einzug in die wissenschaftliche Diskussion gehalten. Neue Vorstellungen müssen sich in gegenseitiger Konkurrenz behaupten. Ansichten, Werte, Theorien entwickeln sich ständig weiter, erfahren Wandlungen, die beurteilt werden. Die Evolution des Evolutionsgedankens ist ein gutes Beispiel. Auch auf dieser intellektuellen Ebene stehen Variation und Selektion im Mittelpunkt. Wie entsteht neues Denken, gegen welche Widerstände und unter Einsatz welcher Mittel setzt es sich durch? Kann es sich im Wettstreit mit alternativem Gedankengut etablieren? Die Thematik des gerade von Ihnen, verehrter Leser, in Händen gehaltenen Buches und Ihre eigene Auseinandersetzung mit dem Für und Wider der Evolutionsidee sind ein anschauliches Beispiel. Vom evolutionären Grundschema her entsprechen all diese geistigen Entwicklungen den originären Konkurrenzen um die basalen Überlebensressourcen in der Natur. Es gibt jedoch einen entscheidenden Punkt, in dem sich diese bislang dem Menschen vorbehaltene kulturelle von der biologischen Evolution unterscheidet. Er betrifft die Produktion von Varianten und damit das Zufallsmoment. Im Gegensatz zum völlig orientierungslos erfolgenden Mutations-/ Rekombinationsgeschehen auf Ebene des Erbmaterials entwickelte der Mensch Neues von vornherein unter einer bestimmten Zielvorgabe. Ideen, Strategien werden zweckgebunden entworfen. Die Zufallskomponente reduziert sich damit in erster Linie auf Nebeneffekte, die unerwartet Bedeutung erlangen. Ein Beispiel ist der Placeboeffekt, wenn sich bei der Entwicklung eines Medikaments herausstellt, dass allein die Gabe unabhängig vom Wirkstoff positiven Einfluss auf den Heilungsprozess nimmt. Auch so manches kulinarische Highlight, das aus dem versehentlichen Verwechseln der Gewürzfläschchen resultiert, stellt solch einen erhaltungswürdigen Zufall dar. Der zweite Schritt, die Bewährung und Begünstigung von Nützlichem – die Selektion –, verläuft in der Kultur- und der Bioevolution wieder nach den gleichen Regeln. Allerdings rekrutiert sich die kulturelle Jury ihrerseits aus Menschen, was stets die Gefahr fehlender Neutralität und Unvoreingenommenheit birgt. Zusammenfassend könnte man sagen: Aus Zufall und Notwendigkeit in der Natur wird Planung, ein wenig Zufall und eingeschränkte Notwendigkeit in der menschlichen Kultur.
Ein weiterer Punkt, der sich anschaulich in der Humangesellschaft beobachten lässt, ist die ständige Wechselwirkung zwischen Konkurrenz und Kooperation. Die im Zusammenhang mit Darwins Überlebenskampf immer wieder heiß diskutierte Frage „was zählt mehr, das Mit- oder das Gegeneinander?“ zeigt im Falle des Menschen eine besondere Ausprägung, die deutlich macht, wie wenig sinnvoll hier eine „Entweder-oder-Entscheidung“ ist. Dass Konkurrenz und Kooperation, man kann auch von Wettkampf und Teamwork sprechen, nicht a priori als Gegensätzlichkeiten einzustufen sind, wurde bereits am Beispiel der kompetitiven Entwicklung leistungsfähigen Zusammenwirkens geschildert. Welche Sozialstruktur, welche Kooperationsmethode ermöglicht die effizienteste Gruppenarbeit? Die Mannschaft mit der ausgeklügeltsten Taktik und dem besten Teamgeist gewinnt das Turnier. Aber auch innerhalb jeden Teams herrscht Konkurrenz um die Besetzung der einzelnen Positionen. Konkurrenz befruchtet jede Gruppenleistung. Schaut man auf die Anforderungen, die im alltäglichen Leben an den Menschen gestellt werden, wird schnell klar, dass situationsbedingt beides gefragt ist. Individuelles Durchsetzungsvermögen gegenüber Personen, Konzepten, Meinungen gilt es mit Kompromissbereitschaft und gemeinsamem Handeln in Einklang zu bringen. Tagtäglich finden wir in Stellenanzeigen Teamfähigkeit als unabdingbare Voraussetzung angeführt. In denselben Annoncen wird aber auch Durchsetzungskraft, Eigenständigkeit und Entscheidungsfähigkeit verlangt. Beim Vorstellungsgespräch, der eigenen Präsentation vor dem potenziellen neuen Chef, gilt es Mitbewerber auszustechen. Doch muss dies absolut gewaltfrei erfolgen durch Überzeugungskraft, der eigene Befähigung innewohnt, aber keine Verunglimpfung der Konkurrenz. Ellenbogen zeigen und den Arm um
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