Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand
Sie, lieber Leser, nicht erstaunt, wenn Ihnen ein Paläontologe erzählte, er könne aus dem Fund eines bezahnten hominiden Unterkiefers Rückschlüsse auf das Sozialverhalten ableiten? Wenn zum Beispiel die Größe der Eckzähne in solch einem Fund im Vergleich zu älteren Formen deutlich reduziert ist, deutet dies auf einen Funktionswandel hin. Offensichtlich wurden so große „Hauer“ irgendwann nicht mehr benötigt. Von den Menschenaffen wissen wir, dass so imposante Eckzähne für Drohgebärden bei Brautwerbung gegenüber rivalisierenden Geschlechtsgenossen eingesetzt werden. Es geht darum, möglichst viele Weibchen für sich zu monopolisieren, um die eigenen Gene in die nächste Generation zu tragen. Wenn nun ein frühmenschlicher Unterkiefer nur noch mit unscheinbaren Eckzähnen ausgestattet war, spielten Drohgebärden im Rivalenkampf und damit das Ansichbinden möglich vieler Weibchen keine Rolle mehr. Das spricht für Paarbindung. Zwar sind diese Zusammenhänge hier sehr vereinfacht dargestellt, zeigen aber, dass Logik, Interpretation und auch Spekulation durchaus ihren festen Platz in der Evulotionsforschung einnehmen. Auf Fragen, warum sich ein bestimmtes Merkmal in einer bestimmten Phase der Evolution nun durchgesetzt hat, was der entscheidende Vorteil war, lassen sich keine 100%ig sicheren Antworten finden. Die Darwin-Kritiker aber glauben, genau diese Forderung erheben zu können, da in ihren Augen Darwin den Überlebenskampf als einfache Alles-oder-nichts-Geschichte definiert habe. In einer Art Gladiatoren-Gemetzel würde demnach jede neue Variante in die Arena geworfen, wo es dann heißt: Top oder Flop, Sieg oder Niederlage, Leben oder Tod. Die Selektion als simples Triumvirat – Daumen hoch oder Daumen runter. Aber so einfach funktioniert es nicht, Selektion ist kein dualer (Hin)Richter, sondern räumt jeder Neuerung Bewährungsspielraum ein. Darwin hat den Erhalt selbst kleinster Verbesserungen deutlich betont. Dabei sind solche Minimaloptimierungen keinesfalls immer auf den ersten Blick erkennbar und lassen sicher auch Raum für Mutmaßungen. Obwohl sich jeder ehrliche Darwinist zu dieser Unsicherheit bekennen wird, verlangen die Kritiker von den Evolutionsbefürwortern, für jedes heute existierende Merkmal eine Erklärung parat zu haben, was genau zu welchem Zeitpunkt in der Evolution der entscheidende selektive Vorteil eben jenes Phänotyps gewesen sei, der ihn besser als andere machte und daher überleben ließ. Was brachte es beispielsweise dem hominoiden Ahnen, sein doch so nützliches Fell „abzustreifen“, das ihm Schutz gegen Kälte, Wärme, Verletzung und Sonnenbrand gewährte? Warum verkürzten sich seine Arme, wo doch längere viel praktischer seien? Wer sich nicht bücken muss, verbrauche schließlich weniger Energie. Wenngleich sich für diese Beispiele durchaus plausible Erklärungen finden lassen, soll gar nicht verschwiegen werden, dass heute niemand in der Lage ist, die Sinnhaftigkeit sämtlicher rezenter Merkmale erklären zu können. Allein schon die Dimension einer solchen Forderung ist absurd. Dass sie gerade von Leuten gestellt wird, die sich selbst in keiner Weise verpflichtet fühlen, eigene wissenschaftliche Belege für ihre anklagenden Thesen zu liefern, grenzt an Snobismus, beruht aber auch auf deren simplifiziertem Schwarz-Weiß-Verständnis des Darwinismus. Entscheidend ist, dass unsere begrenzte Fähigkeit, jedes Detail der biologischen Evolution nachvollziehen zu können, nichts an der Logik und naturwissenschaftlichen Belegbarkeit des Abstammungsmodells ändert. Aus der Erkenntnis, dass wir nicht jeden Einzelschritt durchschauen können, resultiert kein den Evolutionsmechanismus falsifizierender Widerspruch.
Mut zur Lücke – kein Platz für Größenwahn
Bei aller Plausibilität und wissenschaftlichen Untermauerung wird kein redlicher Darwinist einen Anspruch auf Allwissenheit erheben. Das Wunder der Natur wird immer ein solches bleiben. In unserer Modellvorstellung von der Evolution gibt es Lücken, viele Lücken – insbesondere in Detailfragen, die wir derzeit nicht erklären können. Einige davon werden wir vielleicht noch zu schließen in der Lage sein, andere werden sich unserem Verständnis wohl für immer entziehen. Im vorangegangenen Abschnitt haben Sie erfahren, warum wir Fitness generell nur rückblickend beurteilen können und weshalb Prognosen über den weiteren Evolutionsverlauf praktisch unmöglich sind. Aber auch in der Retrospektive bleibt
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