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Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand

Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand

Titel: Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Graf
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beobachtbaren Naturphänomene fokussiert hat –, ist in höchstem Maße unverantwortlich. Auch wenn Darwin das gesellschaftsökonomische Modell eines Thomas Malthus in seinen Überlegungen verarbeitete und Parallelen in der biologischen Evolution zu erkennen glaubte, hatte er nie den Anspruch, sozialpolitische Vorgaben zu machen. Eigennützig ein Wertesystem für menschliches Verhalten in der Gesellschaft – speziell der englischen – zu schaffen, das soziale Ungerechtigkeiten als naturgegeben, Egoismus und Gewalt bis hin zum Massenmord als probate Mittel des Überlebenskampfes im Sinne eines Vernichtungskrieges legitimiert – das ist nicht Charles Darwin! Die Konsequenzen sind unglaublich. Man schreibt Darwin hier zumindest eine große Mitverantwortung für die schlimmsten Gewaltverbrechen des 20. Jahrhunderts zu. Dem übelsten Mordkomplott des Naziregimes, dem so grausam instrumentalisierten Eugenik-Begriff mit der Glorifizierung „wertvoller arischer“ und Vernichtung „minderwertiger“ Rassen, habe Darwin als Wegbereiter gedient. Er habe b e w u s s t einprägsame Schlagworte – natürliche Auslese, Überleben der Fähigsten – gewählt, um Verhaltensweisen zu rechtfertigen, die dem Menschen zwar moralisch verwerflich erscheinen, aber als Teil des natürlichen Systems zu akzeptieren seien. Grünes Licht für die Vernichtung Schwächerer (besser: Ungeliebter) durch Stärkere (d. h. morallose Gewaltverbrecher)? Stopp! Spätestens an dieser Stelle muss ein Riegel vorgeschoben werden, bei aller Akzeptanz von Gedanken- und Redefreiheit. Darwins Lebensinhalt war die Natur, und das seit frühester Kindheit. Er konnte es sich leisten, nach Überwindung einiger Widerstände sein Hobby zum Beruf zu machen. Natürlich kam ihm seine materielle Unabhängigkeit dabei zugute und ihm lag daran, sie zu erhalten. Aber das war doch nicht die Motivation für sein Lebenswerk. Sicher trug er keine Scheuklappen, die ihn für die Probleme des menschlichen Zusammenlebens unempfänglich machten. Ebenso sicher hat er sich darüber Gedanken gemacht, was die Menschheit gerade im Hinblick auf die Ausbildung von Hierarchien so treibt. Aber die Evolutionstheorie zu einer Rechtfertigungskampagne zu degradieren, zu einem Erklärungsmodell, um menschliches Fehlverhalten früherer und späterer Generationen bis hin zum Holocaust zu kaschieren, entbehrt jedweder Substanz. Darwins Denkmodell erklärt die Mechanismen von Veränderung und Formenwandel im globalen biologischen System – nicht weniger, vor allem aber nicht mehr. Und mehr hat auch Darwin nicht gewollt. Seine Arbeitspraxis mit der überaus gründlichen Recherche und der lange hinausgezögerten Publikation sowie die sein Wesen beschreibenden Überlieferungen sind beste Belege.
    Wie sehr die Kritiker die Arbeit Darwins im Kern verdrehen, zeigt sich bereits in der Wortwahl bei der Übersetzung der englischen Originaltexte bzw. in der semantischen Deutung – dem Wortsinn – der von Darwin verwendeten Begriffe. In den meisten Sprachen lassen sich einzelnen Vokabeln mehrere Bedeutungen und Schweregrade zuordnen. Was im Einzelfall gemeint ist, lässt sich jeweils nur aus dem inhaltlichen Kontext bestimmen. Eine „Auseinandersetzung“ kann ein Kinderzank um das größere Stück Kuchen, ein verbaler Schlagabtausch im Bundestag, aber auch ein physisches Kräftemessen im Boxring bis hin zu einem mit Waffen geführten Krieg sein. Tiere und Pflanzen müssen sich mit den Vorgaben der Umwelt auseinandersetzen. Ein Begriff – viele Bedeutungen. Aber der Kontext lässt keine Zweifel zu. Niemand würde einen Sandkastenzwist mit Krieg umschreiben und bei einer Übersetzung ins Englische sicher nicht die Vokabel „
war
“ verwenden. Umgekehrt würden wir einen englischen Kriegsbericht „
thousands were killed on the battlefields of war“
nicht mit „bei der Zänkerei entschliefen einige Tausend in der Wettkampfarena“ euphemisieren. Im Sport verwenden wir gern Begriffe aus der Militärsprache – Taktik, Angriff, Verteidigung, Schuss auf das Tor, Granate sogar, wenn er besonders hart war. Aber jeder weiß um die Bedeutung. Der sportliche Kontext gibt die Richtlinien vor. Und ebensolche Richtlinien sind es, welche die Kritiker bei der Auslegung von Darwins Schriften völlig missachten. Komplett aus dem biologischen Zusammenhang gerissen, werden Vokabeln wie „struggle“ oder „battle“ generell mit Krieg übersetzt. Das Ableben – vom Tod einzelner Individuen bis hin zum Aussterben

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