Darwin und die Götter der Scheibenwelt
Evolutionsergebnisse festlegten, nicht wieder zum Menschen führen, es gebe also keine dünnen Kausalfäden. Wir sind anderer Ansicht: Vielleicht, ja fast gewiss kämen wir nicht zu demselben Primaten, der von den Bäumen herabsteigt, aber in den neuen und unterschiedlichen Abstammungslinien würden sich äquivalente grundlegende Innovationen abspielen. Menschen können gut Gruppierungen auf den oberen Ebenen entdecken, Analogien und Metaphern bilden; daraus, was Tante Janie heute tut, darauf schließen, was sie morgen tun wird oder vor zwanzig Jahren getan hat. Wir vereinfachen jedoch zu stark, wenn wir versuchen, das Gewirr winziger Kausalbeziehungen zu entwirren, welches hinter jedem historischen Ereignis liegt, da wir mit dieser Art Komplexität nicht umgehen können.
Obwohl also die gesamte Kausalität sich auf der Mikro-Ebene abspielt und wir sie nur in Größenordnungen von ein paar Dutzend miteinander wechselwirkender Teilchen analysieren können, obwohl es doch in Wahrheit Milliarden sind, tut das überhaupt nichts zur Sache. Es ist wie mit den Physikern im frühen 20. Jahrhundert, die uns erzählten, der Esszimmertisch sei gar nicht da, er bestehe fast durchweg aus leerem Raum, und Konzepte wie ›hart‹ oder ›braun‹ hätten in der Weltsicht des Physikers keinen Platz. Umso schlimmer für den Physiker. Hat er wirklich nicht sein Mittagsmahl von eben so einem harten braunen Tisch gegessen? Und war sein Gehirn nicht dafür eingerichtet, wirklich schlau mit Abstraktionen wie ›hart‹ und ›braun‹ umzugehen, die in seinem Alltag von Nutzen waren, statt mit den auf sehr spezifische Weise unnützen Konzepten von Atomen, Kernen und so weiter?
Im Gegenteil, unsere Gehirne kommen blendend mit Urteilen auf den höheren Ebenen zurecht, die von ihnen verlangt werden, insbesondere in einer Welt voller harter brauner Tische, Türen, Häuser, Bäume, aus denen man sie macht, und anderer Menschen, die uns helfen oder die mit uns konkurrieren. Doch fast alle Menschenhirne sind schwach, wenn es um die Physik der Atome und der Mikrowelt geht.
Zurück zur Geschichte. Wir ›finden Sinn‹ in großen Bewegungen wie der Aufklärung, der Demokratie im alten Athen, den Tudors; doch wir wissen, wenn wir alle Wechselwirkungen im Kleinen betrachten müssten, ergäben sie vor dem verständlichen Hintergrund wenig Sinn. Aus ebendiesem Grunde können historische Romane so faszinierend sein, und darum haben Die drei Musketiere Kardinal Richelieu und alle wichtigen Leute im Frankreich des 17. Jahrhunderts nicht wirklich beeinflusst. Dennoch finden wir großes Vergnügen an der literarischen Erfindung, die den großen Bewegungen Sinn gibt, indem sie sie auf die Beweggründe und den Edelmut von einigen Leuten wie d’Artagnan zurückführt, mit denen wir uns identifizieren können. Die Fortsetzungen Zehn Jahre später und Zwanzig Jahre später haben manche von uns neugierig gemacht, als Dumas feststellte, dass er auf eine gute Sache gestoßen war, und mehr von demselben produzierte. Zumindest manche von uns stellten dann fest, dass Athos’ Edelmut immer falscher klang und Porthos’ gute Laune nervte, während Aramis’ Frömmigkeit im Lauf der Jahre fadenscheinig wurde. Die ursprüngliche Idee passte sich in die Geschichte ein, die wir kannten, sie war konsistent und lieferte farbige Zwischenfälle. Aber die später folgenden Verkaufsschlager passten immer weniger zu unserem Bild, wie die Geschichte funktioniert.
Es gibt ein hervorragendes Beispiel für den umgekehrten Vorgang, welches sogar noch überzeugender ist als Dumas. Wells’ Zeitmaschine war, wie gesagt, die absolute klassische Zeitreiseerzählung, die uns das große Bild von der Vorgeschichte bis zu den sozialen Folgen des Kapitalismus zeigte, den der Sozialist Wells kritisieren wollte. Dann die erkaltende Sonne, die großartigen Krebse an dem Meeresstrand nach der Sintflut … sehr hübsch. Aber Stephen Baxters moderne Fortsetzung Zeitschiffe zeigt uns, wie schlau die Morlocken sein werden, wie der Zeitreisende gegenüber dem unschuldigen und etwas dummen kleinen Mädchen aus der Zukunft – einem Widerhall von Lewis Carrolls Alice – doch nicht durchweg unschuldige Gedanken hegt.
Es ist wie ein historischer Roman, der all die kleinen Einzelheiten, sexy und ekelhaft, in den großen Gobelin der Geschichte einfügt. Derlei literarische Übungen verleihen der Geschichte Farbe und Geschmack, ganz so, wie wir es Damasio zufolge mit unseren persönlichen Erinnerungen
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