Darwin und die Götter der Scheibenwelt
tun. Das Vergnügen, das uns solche Übungen verschaffen, zeigt, wie unser menschlicher Geist die Geschichte wahrnimmt: im Großen ohne Geschmack, im Kleinen mit der Farbe, die wir unseren eigenen kleinen Erinnerungen hinzufügen. Historische Romane sind also weiter nichts als dieses: ein romantisches Gemälde der kleinen, interessanten Dinge, deren Kausalität das große Ganze beeinflussen könnte, es aber nicht tut.
Was bedeutet also die Frage, ob die Zeit Veränderungen allmählich strickt oder ob letzten Endes mutwillige Schmetterlinge für den Fall von Weltreichen verantwortlich sind?
Hier hören die Konventionen der Literatur auf, der wirklichen Welt gerecht zu werden. Aus der Sicht der Zauberer ist die Rundwelt eine eindimensionale Abfolge, zu der sie zweidimensional wie zu einem Buch Zugang haben. Aus erzähltechnischen Gründen müssen wir es so darstellen – wegen all der historischen Geschichten mit dünnen Kausalfäden, die unser Geist so passend findet. In literarischem Kontext bleibt uns nicht viel Wahl. Hier aber wollen wir über das Wesen von Kausalität und freiem Willen im ›wirklichen‹ Universum nachdenken, welches – wie wir in den Büchern über die Gelehrten der Scheibenwelt deutlich gemacht haben – keine Spur von Narrativium enthält. In diesem Zusammenhang muss uns klar sein, dass das einfache Bild von der Geschichte der Rundwelt ein Schwindel ist. Die Hose der Zeit funktioniert als Erzählung sehr gut, doch als echte Physik betrachtet ist sie ein Schwindel: Man kann nicht infolge eines Ereignisses von einem Hosenbein ins andere geraten. Schlimmer noch, man kann nicht einmal feststellen, dass es ein solches Ereignis gegeben hat. Soweit es einen selbst angeht, ist dies die Welt. Sie hat in ihrer Vergangenheit keine ›Wenns‹.
Nichts von alledem hält uns davon ab, mithilfe von ›Was-wäre-wenn‹-Fragen (die von Natur aus Fiktion sind, keine Tatsache) über die Geschichte nachzudenken. In unserem Geist können wir immer noch fragen, was geschehen wäre, wenn Lincoln überlebt hätte – aber in der wirklichen Welt hat er nicht überlebt, und in der wirklichen Welt können wir kein originalgroßes Modell des ›Wenn-er-hätte‹ ablaufen lassen, nur in unseren Köpfen.
Das ist genau die Schwierigkeit, auf die die Wissenschaft stößt. Beispielsweise besteht das Hauptproblem bei der Erprobung medizinischer Therapien darin, dass wir nicht gleichzeitig Mrs. Jones das Medikament geben und es ihr nicht geben können, um die Ergebnisse zu vergleichen. Wir können es nacheinander tun, doch dann erfolgt die zweite Behandlung (egal, ob dies das echte Medikament oder das Placebo ist) an einer anderen Mrs. Jones, einer, die schon die erste Behandlung hinter sich hat. Also wird eine große Menge Patienten getestet: die einen erst mit dem Medikament und dann mit dem Placebo, die anderen in umgekehrter Reihenfolge. Und vielleicht sollten die Tester in ein paar Fällen auch zweimal das Placebo einsetzen und in ein paar anderen Fällen zweimal das Medikament.
In unserem Geist führen Zeitreisegeschichten dieselbe Art Test durch: ›Was wäre geschehen, wenn Leonardo tatsächlich ein U-Boot in Funktion gesehen hätte?‹ beziehungsweise ›Hat Leonardo ein U-Boot in Funktion gesehen?‹ In Die Gelehrten der Scheibenwelt und noch deutlicher in Die Philosophen der Rundwelt haben wir gefragt, ob die interessanten Geschichten, die wir erfinden, eine Art zusammenhängende Erklärung haben, etwas wie ›das Böse‹ – das wir im zweiten Buch in den Elfen verkörpert haben. In welchem Umfang haben solche Konzepte eine Entsprechung in der wirklichen Welt? Jetzt legen wir dar, dass wir nicht wissen können , ob irgendeine von uns erhaltene Antwort etwas nützt; wir können nicht einmal wissen, ob wir überhaupt eine Antwort erhalten haben. Und genau darum ist Dennetts Art von freiem Willen die einzige, die zu haben sich lohnt. Er ist zukunftsorientiert und gibt so jedem von uns die Chance, kleine Teile einer ansonsten unvermeidlichen Zukunft vermeidbar zu machen.
Wenn wir auf etwas zurückschauen, das wir mit solch einem Akt freien Willens verändert haben, ist es so kausal wie alles andere auch – und wenn das Universum in irgendeinem Sinn determiniert ist, dann in diesem. Stellen Sie sich Odysseus vor, der zurückschaut, wie sein Schiff den Sirenen entkommen ist. Seine Männer konnten sie nicht hören, und er, der sie hörte, konnte nicht in die Steuerung des Schiffs eingreifen. Auf diese Weise
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