Darwin und die Götter der Scheibenwelt
zu beseitigen. Mit ›müsste‹ meinen wir hier, dass das Immunsystem gewöhnlich ebendies mit Gewebe tut, welches nicht der Mutter gehört.
Anscheinend hat das ERV-3-Protein große Ähnlichkeit mit einem anderen namens p15E, welches Teil eines weit verbreiteten Verteidigungssystems von Viren ist, die damit ihre Wirte daran hindern, sie abzutöten. Das Protein p15E hindert Lymphozyten, einen der wichtigsten Zelltypen des Immunsystems, daran, auf Antigene zu reagieren, Moleküle, die die fremdartige Natur des Virus offenbaren. In einem bestimmten Stadium der Säugetier-Evolution ist dieses Verteidigungssystem den Viren gestohlen und benutzt worden, um die Plazenta daran zu hindern, auf die Antigene zu reagieren, die die fremde Natur des Vaters des Fötus offenbaren. Vielleicht nach dem Prinzip, statt zum Schmiedchen zum Schmied zu gehen, hat das menschliche Genom beschlossen, Nägel mit Köpfen zu machen* [* Verzeihen Sie die Verbreitung von Metaphern aus dem Metallhandwerk.] und das gesamte Genom des Retrovirus zu stehlen.
Als die Evolution den Diebstahl ausführte, hat sie jedoch ihre Beute nicht einfach unverändert in der menschlichen DNS-Sequenz abgelegt. Sie hat auch ein paar Intronen eingefügt und ERV-3 in mehrere einzelne Teile zerlegt. Das Virus-Genom ist vollständig , aber nicht zusammenhängend. Egal: Enzyme können die Intronen leicht herausschneiden, wenn dieses Stück DNS in Protein umgesetzt wird. Aber niemand weiß, warum die Intronen vorhanden sind. Sie könnten zufällige Einsprengsel sein. Oder vielleicht sind sie – gemäß der Idee von der RNS-Interferenz – viel bedeutsamer. Diese Intronen könnten ein wichtiger Teil des genetischen Regelsystems sein, SMS-Texte, die es der Plazenta erlauben, ERV-3 zu verwenden, ohne Gefahr zu laufen, das entsprechende Virus freizusetzen.
Wozu die Intronen auch dienen mögen, Warmblütigkeit ist jedenfalls nicht der einzige Trick, den die Evolution der Säugetiere gefunden und ausgenutzt hat. Sie hat sich auch auf den kompletten Diebstahl eines Virusgenoms verlegt, um das Immunsystem der Mutter daran zu hindern, das Baby hinauszuwerfen, weil es nach dem Vater ›riecht‹. Und wir erhalten abermals die Lehre, dass die DNS nicht egoistisch ist. ERV-3 ist nicht deshalb im menschlichen Genom vorhanden, weil es ein Stück Müll wäre, der zusammen mit allem anderen kopiert wird und geblieben ist, weil er keinen Schaden anrichtet. Es ist vorhanden, weil Menschen ohne ERV-3 in sehr direktem Sinn nicht überleben – sich nicht einmal fortpflanzen – könnten.
EINUNDZWANZIG
Nugatüberraschung
Die Aktivität im Großen Saal ließ allmählich nach. Überall an den Regenbogenlinien der Zeit schlossen sich die Knoten. Oder werden entknotet, dachte Rincewind. Was auch immer man mit Knoten anstellte. Kurzer Jubel erklang, als das letzte glühende Zauberersymbol verschwand, und von draußen kam Gebrüll, als drei Zauberer und viele Tentakel in den Springbrunnen fielen. Rincewind war erst ein wenig überrascht und dann bestürzt gewesen. Sein Name stand nicht auf dem Riesentintenfisch, was bedeutete, das Ridcully Schlimmeres für ihn vorgesehen hatte.
»Offenbar werde ich nicht mehr gebraucht«, sagte er hoffnungsvoll, nur für den Fall.
»Haha, Professor, was bist du doch für ein Witzbold, und ob«, sagte der Hummer neben ihm. »Der Erzkanzler hat ausdrücklich betont, dass wir dich auf jeden Fall hier behalten sollen, ganz gleich, was du sagst.«
»Ich wollte doch gar nicht weglaufen!«
»Nein, du hast nur zur Mauer mit den losen Ziegelsteinen gesehen«, sagte der Hummer* [* Die Aufsichtführenden der Universität wurden Hummer genannt, weil sie sehr rot wurden, wenn sie sich aufregten, und so fest zugriffen, dass man sie kaum abschütteln konnte. Meistens handelte es sich um ehemalige Feldwebel mit unauslotbar tiefem Zynismus, und sie schienen sich hauptsächlich von Bier zu ernähren.]. »Wir verstehen. Kannst von Glück sagen, dass wir dich zurückgehalten haben, bevor du in die Gasse hinter der Mauer fallen konntest, nicht wahr? Du hättest dich verletzen können.«
Rincewind seufzte. Es war immer schwer, den Hummern zu entkommen. Sie jagten in Rudeln und schienen ein gemeinsames Gehirn zu haben. Jahrelang hatten sie den Studenten zugesetzt und dabei eine Schläue gewonnen, die ans Übernatürliche grenzte.
Einige der älteren Zauberer kamen herein. Zwischen Ridcully und dem Dekan fand ein Streitgespräch statt.
»Ich begreife nicht, warum ich hier
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