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Darwin und die Götter der Scheibenwelt

Darwin und die Götter der Scheibenwelt

Titel: Darwin und die Götter der Scheibenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett , Ian Stewart , Jack Cohen , Erik Simon
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gibt, worauf sie parasitieren können – warum also nicht? Schlupfwespen spielen allerdings eine bedeutende Rolle dabei, andere Insektenpopulationen unter Kontrolle zu halten: Nahezu ein Drittel aller Insektenpopulationen, die Menschen gern als ›Ungeziefer‹ bezeichnen, werden auf diese Art in Schach gehalten. Vielleicht wurden die Schlupfwespen wirklich erschaffen, um Menschen möglich zu machen … Jedenfalls haben uns die Wespen, über die Darwin sich so wunderte, noch eine Menge zu sagen, und die jüngste Entdeckung auf diesem Gebiet droht etlichen gehätschelten Überzeugungen den Garaus zu machen.
    Genau genommen betrifft die Entdeckung weniger die Wespen als einige Viren, von denen sie infiziert werden … oder die in Symbiose mit ihnen leben. Sie werden Polydnaviren* [* Deutsch also eigentlich Poly-DNS-Viren, was sich aber schlechter ausspricht. – Anm. d. Übers. ] genannt.
    Wenn Mutter Wespe ihre Eier in eine ahnungslose Larve wie etwa eine Raupe legt, injiziert sie auch eine ordentliche Dosis Viren, darunter besagte Polydnaviren. Die Raupe bekommt nicht nur einen Parasiten, sie bekommt auch eine Infektion. Die Gene des Virus erzeugen Proteine, die das Immunsystem der Raupe beeinflussen und es daran hindern, auf den Parasiten zu reagieren und ihn schließlich abzustoßen. Also knabbern die Wespenlarven weiter frohgemut an der Raupe und entwickeln sich schließlich zu erwachsenen Wespen.
    Nun braucht offensichtlich jede ordentliche Schlupfwespe ihren eigenen Satz Polydnaviren. Wo bekommt sie die her? Aus der Raupe, von der sie sich ernährt hat. Und sie bekommt sie (ganz wie die Mutter) nicht als gesonderten infektiösen ›Organismus‹, sondern als so genannten Provirus: eine DNS-Sequenz, die in das eigene Genom der Wespe eingebaut worden ist.
    Viele Genome, wahrscheinlich die meisten, wenn nicht überhaupt alle, enthalten solcherart verschiedene Stücke von Viren. Unser Genom enthält jedenfalls welche. Die Übertragung von DNS durch Viren scheint eine wichtige Eigenschaft der Evolution gewesen zu sein.
    2004 ermittelte eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Eric Espagne die DNS-Sequenz eines Polydnavirus und fand etwas heraus, das sensationell von allem abwich, was nur irgendwer erwartet hatte. Typische Virengenome unterscheiden sich erheblich von denen der Eukaryoten – der Organismen, deren Zellen einen Zellkern besitzen, wozu die meisten mehrzelligen Organismen und viele Einzeller gehören, aber keine Bakterien. Die DNS-Sequenz der meisten Eukaryoten besteht aus ›Exonen‹, kurzen Sequenzen, in denen gemeinsam Proteine codiert sind, getrennt von anderen Sequenzen namens ›Intronen‹, die herausgeschnitten werden, wenn der Code in das entsprechende Protein umgewandelt wird. Virengene sind verhältnismäßig einfach und enthalten gewöhnlich keine Intronen. Sie bestehen aus zusammenhängenden Codesequenzen, von denen Proteine festgelegt werden. Das Genom dieses speziellen Polydnavirus hingegen enthält durchaus Intronen, und zwar eine Menge. Das Genom ist komplex und ähnelt viel mehr einem Eukaryoten-Genom als dem eines Virus. Die Autoren kommen zu dem Schluss, Polydnaviren-Genome seien »biologische Waffen, die von den Wespen gegen ihre Wirtstiere eingesetzt werden«. Daher ähneln sie eher dem Genom des Feindes als dem eines gewöhnlichen Virus.
    Zahlreiche Beispiele, alte wie neue, widerlegen jeden einzelnen Aspekt der volkstümlichen Version von Evolution und DNS. Zum Schluss berichten wir von einem jüngst entdeckten Beispiel, das besonders wichtig zu sein scheint und dessen Bedeutung gerade erst allmählich von der biologischen Fachwelt in ihrem ganzen Ausmaß erfasst wird. Es ist wahrscheinlich der nachhaltigste Schock, den die Zellbiologie seit der Entdeckung der DNS erhalten hat – und seit dem wunderbaren ›Zentraldogma‹: DNS bestimmt Boten-RNS bestimmt Proteine. Die Entdeckung wurde nicht im Zuge eines großen, in der Öffentlichkeit breitgetretenen Forschungsprogramms wie des Human Genome Project gemacht. Sie wurde gemacht, weil sich jemand wunderte, warum seine Petunien Streifen bekommen hatten. Wenn alle Welt Jagd auf ›das‹ menschliche Genom macht, ist es nicht leicht, Forschungsgelder für Arbeiten über gestreifte Petunien zu bekommen. Doch das, was die Petunien enthüllt haben, wird sich wahrscheinlich als viel wichtiger für die Medizin erweisen als das ganze Human Genome Project.
    Weil Proteine tatsächlich die Struktur von Lebewesen sind und weil sie als Enzyme

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