Darwin und die Götter der Scheibenwelt
Im riesigen fortwährenden Wettbewerb um Nahrung, Lebensraum und die Gelegenheit zur Fortpflanzung zieht die Natur automatisch Gewinner den Verlierern vor. Der Wettbewerb führt eine Art Ratsche ein, die sich überwiegend in eine Richtung bewegt: zu dem hin, was besser funktioniert. Daher sollte es uns nicht überraschen, dass winzige Veränderungen von einer Generation zur anderen eine Art allgemeine ›Richtung‹ oder Dynamik aufweisen, bei der sich die Veränderungen über die Äonen hinweg zusammenhängend akkumulieren, um etwas völlig Neues hervorzubringen.
Derlei Beschreibungen können leicht als innewohnende Tendenz zum ›Fortschritt‹ missverstanden werden – immer weiter vorwärts, immer höher hinauf. Immer komplexer. Viele Leute im viktorianischen Zeitalter verstanden es so, dass es der Zweck der Evolution sei, die Menschheit hervorzubringen. Wir sind die Krone der Schöpfung, wir bilden den Wipfel des Baums der Evolution. Mit uns ist die Evolution an ihr Ziel gelangt; sie wird jetzt aufhören, da sie ihr Endziel erreicht hat.
Quatsch. ›Besser funktionieren‹ ist keine absolute Aussage. Es gilt in einem Kontext, der sich selbst ändert. Was heute besser funktioniert, muss nicht in einer Million Jahre funktionieren – oder auch nur morgen. Eine Zeit lang wird der Vogelschnabel vielleicht ›besser funktionieren‹, wenn er größer und kräftiger ist. Dann wird er sich in diese Richtung verändern. Nicht, weil Vögel wüssten, welcher Schnabel besser funktioniert, sondern weil der besser funktionierende Schnabel besser überlebt und daher mit größerer Wahrscheinlichkeit an folgende Generationen vererbt wird. Aber die Ergebnisse des Wettbewerbs können die Spielregeln verändern, sodass später große Schnäbel ein Nachteil sein können; beispielsweise kann das geeignete Futter verschwinden. Fortan gewinnen kleinere Schnäbel.
Kurzum, die Dynamik der Evolution ist nicht im Voraus festgeschrieben: Sie ist ›emergent‹. Im Fortschreiten schafft sie sich ihren eigenen Kontext und reagiert auf diesen Kontext. Wir erwarten also, zu jedem gegebenen Zeitpunkt eine merkliche Gerichtetheit der evolutionären Veränderungen vorzufinden, die über viele Generationen hinweg Bestand hat, doch oft findet das Universum selbst diese Richtung nur heraus, indem es erkundet, was möglich ist, und entdeckt, was funktioniert. Über einen längeren Zeitraum hinweg kann die Richtung selbst sich ändern. Es ist wie ein Fluss, der in einer der Erosion unterliegenden Landschaft fließt: Zu jedem gegebenen Zeitpunkt hat die Strömung eine deutliche Richtung, aber auf lange Sicht kann der Fluss langsam seinen Lauf ändern.
Wichtig ist auch, sich zu vergegenwärtigen, dass Einzelorganismen nicht isoliert und vor einem unveränderlichen Hintergrund im Wettbewerb stehen. Es finden ständig Milliarden von Wettbewerben statt, und ihr Ergebnis kann vom Resultat anderer Wettbewerbe beeinflusst werden. Es ist nicht wie bei den Olympischen Spielen, wo die Speerwerfer höflich warten, bis die Marathonläufer vorüber sind. Es ist eher eine Version der Spiele, wo die Speerwerfer versuchen, möglichst viele Marathonläufer zu treffen, während die Hürdenläufer versuchen, ihnen die Speere zu stehlen und aus jeder Hürde eine kleine Fallgrube zu machen, während die Marathonläufer kein höheres Lebensziel kennen, als den Wassergraben leer zu trinken, bevor die Hürdenläufer ihn leer trinken können. Das sind die Evolympischen Spiele, wo alles gleichzeitig geschieht.
Die evolutionären Wettbewerbe und ihre Ergebnisse hängen auch vom Kontext ab. Vor allem das Klima spielt eine große Rolle. Auf den Galápagosinseln hängt die Auslese nach Schnabelgröße bei den Darwinfinken davon ab, wie viele Vögel Schnäbel von welcher Größe haben und welche Arten von Nahrung – Samen, Insekten, Kakteen – in welchen Mengen verfügbar sind. Menge und Art der Nahrung hängen davon ab, welche Pflanzen und Insekten im Kampf ums Überleben – nicht zuletzt, ob sie von Finken gefressen werden – die Oberhand behalten und sich fortpflanzen. Und das alles spielt sich vor dem Hintergrund klimatischer Variationen ab: feuchte oder trockene Sommer, feuchte oder trockene Winter. Beobachtungen, die Peter und Rosemary Grant 2002 veröffentlicht haben, zeigen, dass das wichtigste unvorhersehbare Element der Finken-Evolution auf den Galápagosinseln das Klima ist. Wenn wir das Klima exakt vorhersagen könnten, könnten wir auch voraussagen, wie sich
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