Darwin und die Götter der Scheibenwelt
nun eigentlich die Sieben? Ein Wort? Nein, denn man könnte stattdessen das Symbol 7 benutzen. Ein Symbol? Aber es gibt ja das Wort … und überhaupt, auf Japanisch gibt es auch ein anderes Symbol für 7. Was also ist die Sieben? Man kann leicht sagen, was sieben Tage, sieben Geißlein oder sieben Farben des Spektrums sind … aber was ist mit der Zahl selbst? Man begegnet niemals einer nackten ›Sieben‹, sie ist immer mit einer Ansammlung von Dingen verbunden.
Cantor beschloss, aus der Not eine Tugend zu machen, und erklärte, eine Zahl sei etwas mit einer Menge oder Ansammlung von Dingen Verbundenes. Man kann eine Menge aus jeder Ansammlung von welchen Dingen auch immer zusammenstellen. Intuitiv sagt einem die Zahl, die man beim Zählen erhält, wie viele Dinge zu der Menge gehören. Die Menge der Tage in der Woche determiniert die Zahl ›sieben‹. Das Wunderbare an Cantors Herangehensweise ist dies: Man kann feststellen, ob irgendeine andere Menge sieben Elemente enthält, ohne irgendetwas zu zählen. Wenn zum Beispiel die zweite Menge von den Regenbogenfarben gebildet wird, könnte man die Menge folgendermaßen zueinander in Beziehung setzen:
Sonntag Rot
Montag Orange
Dienstag Gelb
Mittwoch Grün
Donnerstag Blau
Freitag Violett* [* Ja, hier steht traditionell ›Indigo‹, aber das ist albern – Indigo ist nur eine Schattierung von Blau. Ebenso gut könnte man zwischen Grün und Blau ›Türkis‹ einordnen. Indigo ist nur eingefügt worden, weil sieben mystischer ist als sechs. Wir schreiben die Geschichte um und stellen fest, dass wir einen freien Platz für Oktarin haben, die achte Farbe der Scheibenwelt. Na ja, eigentlich die siebente. Wie wär’s mit Septarin?]
Samstag Oktarin
Die Reihenfolge, in der die einzelnen Teile aufgeführt werden, ist belanglos. Aber man darf in ein und derselben Zuordnung dem Dienstag nicht sowohl Violett als auch Grün zuordnen oder dem Grün sowohl den Dienstag als auch den Sonntag. Oder Elemente des Mengen übergehen.
Wenn man hingegen versucht, die Wochentage den Elefanten zuzuordnen, die die Scheibe tragen, stößt man auf Schwierigkeiten:
Sonntag Berilia
Montag Tubul
Dienstag Groß-T’Phon
Mittwoch Jerakeen
Donnerstag ?
Genauer gesagt, man stößt auf zu wenig Elefanten. Nicht einmal der legendäre fünfte Elefant bringt einen über den Donnerstag hinaus.
Warum der Unterschied? Nun ja, es gibt sieben Wochentage und sieben Regenbogenfarben, also kann man die Mengen zueinander in Beziehung setzen. Aber es gibt nur vier (einst vielleicht fünf) Elefanten, und man kann nicht vier oder fünf mit sieben passend zuordnen.
Der tiefe philosophische Gedanke daran lautet, dass man nichts über die Zahlen Vier, Fünf oder Sieben wissen muss, um festzustellen, dass sich die Mengen nicht zueinander in Beziehung setzen lassen. Von den Zahlen zu sprechen heißt, hinterher klüger zu sein. Der Zuordnungs-Vergleich hat Vorrang vor dem Zählen.* [* Aus diesem Grund verbringen sogar heute, da der Ruhm der ›neuen Mathematik‹ längst Staub und Asche ist, kleine Kinder im Mathematikunterricht Stunden damit, krakelige Linien zwischen Kreisen mit Katzenbildern darin und Kreisen mit Blumenbildern zu malen und die beiden Mengen eifrig ›zuzuordnen‹. Weder die Kinder noch ihre Lehrer haben die blasseste Ahnung, wozu sie das tun. In Wahrheit tun sie es, weil für Jahrzehnte eine Handvoll schwachsinniger Pädagogen nicht verstehen konnte, dass, wenn etwas logisch Vorrang vor etwas anderem hat, es trotzdem noch längst nicht sinnvoll sein muss, die beiden Dinge in dieser Reihenfolge zu unterrichten. Echte Mathematiker, die wissen, dass man immer erst das Dach aufs Haus setzt, bevor man den Graben für die Fundamente aushebt, haben das mit Verwirrung und Entsetzen betrachtet.] So weit also nichts Neues. Aber ›Zuordnen‹ hat auch bei unendlichen Mengen Sinn, nicht nur bei endlichen. Man kann die geraden Zahlen allen Zahlen zuordnen:
2 1
4 2
6 3
8 4
10 5
…
und so weiter. Zuordnungen wie diese erklären die Vorgänge im Hilbert-Hotel. Dort hatte Hilbert die Idee her (Dach vor Fundamenten, wie gehabt).
Wie lautet die Kardinalzahl für die Menge aller ganzen Zahlen (und folglich jeder Menge, die darauf durch Zuordnung abgebildet werden kann)? Der traditionelle Name lautet ›Unendlichkeit‹. Cantor war vorsichtig und zog etwas mit weniger geistigen Assoziationen vor, und 1883 nannte er es
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