Darwin und die Götter der Scheibenwelt
und sind zur Arbeit gegangen. Aber irgendwo ›da draußen‹ in den Weiten des Multiversums gibt es ein anderes Universum, wo Sie zum Frühstück Bücklinge gegessen haben, weshalb Sie das Haus eine Minute später verließen und beim Überqueren der Straße eine Auseinandersetzung mit einem Bus hatten, die Sie leider verloren.
Das Falsche daran ist sonderbarerweise nicht der Umstand, dass diese Welt ›in Wahrheit‹ eine Summe von vielen anderen ist. Vielleicht ist sie das auf der Quantenebene der Beschreibung. Warum nicht? Aber es ist falsch, jene Alternativwelten in menschlichen Begriffen zu beschreiben, als Szenarios, wo alles einer Erzählung folgt, die für den menschlichen Geist einen Sinn ergibt. Als Welten, wo ›Bus‹ und ›Bückling‹ überhaupt eine Bedeutung haben. Und noch weniger gerechtfertigt ist es, so zu tun, als sei jede einzelne dieser Parallelwelten eine geringfügige Abweichung von unserer, wo eine Entscheidung auf Ebene der Menschen anders verläuft.
Wenn es jene Parallelwelten überhaupt gibt, dann sind sie durch Veränderungen von verschiedenen Komponenten einer Quantenwellenfunktion beschrieben, deren Komplexität menschliches Verständnis übersteigt. Die Ergebnisse brauchen keinerlei Ähnlichkeit mit Szenarios zu haben, die für Menschen verständlich sind. Ebenso wie der Klang einer Klarinette in reine Töne zerlegt werden kann, aber die meisten Kombinationen dieser Töne keiner Klarinette entsprechen.
Die natürlichen Komponenten der Menschenwelt sind Busse und Bücklinge. Die natürlichen Komponenten der Quantenwellenfunktion der Welt sind nicht die Quantenwellenfunktionen von Bussen und Bücklingen. Sie sind etwas völlig anderes, und sie formen die Wirklichkeit auf andere Weise. Sie kehren Elektronenspins um, drehen Polarisationsebenen, verschieben Quantenphasen.
Sie verwandeln keine Haferflocken in Bücklinge.
Es ist, als nähme man eine Geschichte und würde die Buchstaben willkürlich und zufällig verändern, verschöbe Wörter, würde vielleicht auch die Anweisungen ändern, die der Drucker zur Herstellung der Buchstaben verwendet, sodass sie keinem der Menschheit bekannten Alphabet mehr entsprechen. Statt mit den Nationalhymne von Ankh-Morpok zu beginnen und Das Igellied zu erhalten, erhält man nur Wirrwarr ohne jede Bedeutung. Was vielleicht ganz gut ist.
Einem Artikel von Max Tegmark in der Mai-Nummer 2003 des Scientific American zufolge kennen die Physiker gegenwärtig vier unterschiedliche Ebenen von Paralleluniversen. Auf der ersten Ebene wiederholt eine weit entfernte Gegend des Universums nahezu exakt das, was in unserer eigenen Gegend geschieht. Die zweite Ebene handelt von mehr oder weniger isolierten ›Blasen‹, Babyuniversen, in denen verschiedene Attribute der physikalischen Gesetze wie etwa die Lichtgeschwindigkeit anders sind, die grundlegenden Gesetze aber dieselben. Die dritte Ebene ist Everetts Quantenbild der parallelen Vielen Welten. Die vierte enthält Universen mit radikal unterschiedlichen physikalischen Gesetzen – nicht einfach nur Variationen zum Thema unseres eigenen Universums, sondern völlig abweichende Systeme, die durch jede nur denkbare mathematische Struktur beschrieben werden.
Tegmark unternimmt heroische Anstrengungen, uns zu überzeugen, dass alle diese Ebenen tatsächlich existieren – dass sie überprüfbare Vorhersagen erlauben, wissenschaftlich falsifizierbar sind, wenn sie falsch sein sollten, und so weiter. Er bringt es sogar fertig, Ockhams Rasiermesser, das philosophische Prinzip, wonach Er-klärungen so einfach wie möglich gehalten werden sollen, zur Unterstützung seiner Ansicht neu zu interpretieren.
Das alles, so spekulativ es scheinen mag, ist gute Kosmologie und Physik an der vordersten Front der Forschung. Es ist genau die Sorte von Theorien, die ein Buch über die Gelehrten der Scheibenwelt diskutieren sollte: phantasievoll, verrückt, extrem. Wir sind jedoch nach einigem Zögern zu dem Schluss gelangt, dass die Argumente schwer wiegende Schwächen haben. Das ist schade, denn das Konzept der Parallelwelten trieft derart vor Narrativium, dass jedem SF-Autor mehr Wasser im Mund zusammenläuft als den Pawlowschen Hunden.
Wir wollen Tegmarks wichtigste Aussagen zusammenfassen, ein paar von den Beweisen schildern, die er dafür anführt, etwas Kritik äußern und es Ihnen überlassen, sich eine Meinung zu bilden.
Parallelwelten der Ebene 1 entstehen, wenn – weil – der Raum unendlich ist. Vor kurzem erst
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