Darwinia
Lily.
Es lief nicht reibungslos, nicht gleich. Er schien alles und jedes wissen und erklären zu wollen: stellte Fragen, fiel ihr ins Wort, brach ab und griff Erinnerungen auf und verlor sich in Schweigen. Er stieß den Kaffee um, fluchte, wurde rot und entschuldigte sich für seine Sprache.
Sie sagte: »Ich bin nicht aus Porzellan. Und ich bin keine fünf mehr. Ich glaube, ich weiß, was du durchmachst. Für mich ist es auch nicht einfach, wie wär’s, wenn wir einen neuen Anfang machen? Zwei erwachsene Menschen?«
»Zwei Erwachsene. Klar. Es ist nur…«
»Was?«
Er drückte das Kreuz durch. »Es ist so schön, dich wiederzusehen, Lily.«
Sie biss sich auf die Lippe und nickte.
Das tut weh, dachte Lily, zumal ich weiß, was er ist. Er sitzt da wie ein gewöhnlicher Mensch, fingert an seinen Manschetten herum, trommelt mit dem Finger auf den Tisch. Dabei war er genausowenig ein gewöhnlicher Mensch wie es dieser Tom Compton war: Beide waren in etwas verwickelt worden, das so ungeheuerlich war, dass es jeder Beschreibung spottete.
Ihr halbmenschlicher Vater.
Sie erzählte ihm in groben Zügen ihr Leben. Sie fragte sich, ob er ihre Arbeit billigte – kuriose Jobs für eine Zeitung in Sydney, Recherchen, ein paar Artikel in Zeitschriften, ihre eigene Kolumne. Sie war eine dreißigjährige, ledige Karrierefrau, keine schmeichelhafte Bezeichnung. Die Worte ließen selbst Lily an eine spröde Jungfer mit schlechtem Make-up und Miezekatzen im Wohnzimmer denken. War es das, was er in seinem Gegenüber sah?
Er schien eher um ihre Sicherheit besorgt. »Lil, es tut mir Leid, dass du da hineingestolpert bist.«
»Ich bereue keinen Schritt. Es ist erschreckend, ja. Aber es ist auch die Antwort auf viele Fragen. Lange bevor ich auch nur einen blassen Schimmer hatte, war ich von Darwinia fasziniert, von der bloßen Vorstellung, schon als Kind. Ich belegte Seminare an der Uni -Geologie, Evolutionsbiologie, so genannte ›Implizite Geschichtsschreibung‹, Darwinische Fossilkunde und Ähnliches. Es gibt so viel zu lernen über den Kontinent, aber das eigentliche Rätsel bleibt. Und niemand hat auch nur den Schatten einer Antwort, abgesehen von den Theologen. Als ich auf deine Notizen stieß – und später dann Tom kennen lernte –, na ja, da gab es dann auf einmal eine Antwort, auch wenn sie ziemlich verrückt klang, auch wenn es schwerfällt, sich darauf einzulassen.«
»Vielleicht wär es besser gewesen, du hättest nie davon erfahren.«
»Unkenntnis ist keine Lebensversicherung.«
»Ich habe Angst um dich, Lil.«
»Ich habe Angst um die Menschen. Trotzdem mach ich weiter.«
Er lächelte. Lily setzte hinzu: »Das ist kein Scherz.«
»Nein, natürlich nicht. Du hast mich für eine Sekunde an jemanden erinnert.«
»Oh, an wen denn?«
»An meinen Vater. Deinen Großvater.«
Sie zögerte. »Ich würde gern mehr über ihn wissen.«
»Und ich würde es dir gern erzählen.«
In Wahrheit hatte sie viel von ihrer Mutter. Sie war heller, ja, aber sie hätte Caroline sein können – sie schien genauso eigenwillig wie Caroline, ja, aber ohne diesen harten Kern aus Angst und Argwohn. Caroline hatte immer dazu geneigt, sich von der Welt abzuwenden. Lily wollte sie bei den Hörnern packen.
Der Saal begann sich um diese Abendzeit zu füllen und Tom hielt es für sicherer, Guilford und Lily an den Steinstrand weiter unten, nördlich der Docks, zu bringen.
Die Abendsonne warf ein Flickenmuster aus Licht und Schatten über die Kiesel. Bänder von Seetang schlangen sich um ein verrottendes Holzgerüst. Ein leuchtend blauer Salzwurm schlängelte hastig in die Ebbe hinaus.
Lily pflückte eine Sandbeere vom Gestrüpp oberhalb der Flutgrenze. »Die Bucht ist wunderschön«, sagte sie.
»Die Bucht ist eine einzige Sauerei, Lil. Alles wird hier angespült. Kienteer, Abwasser, Maschinenöl, Dieselöl. Mit Nicholas gehn wir nur an die Strände nördlich von Fayetteville, da ist noch sauberes Wasser.«
»Tom hat mir von Nicholas erzählt. Ich möchte ihn gern kennen lernen.«
»Das wär schön, ja. Aber ob es vernünftig ist, ich weiß nicht. Wenn Tom Recht hat, dann hast du dich in eine gefährliche Lage gebracht. Das kann ich nicht allein entscheiden, Lil. Warum bist du eigentlich hier?«
»Wegen dir vielleicht?«
»Ist das der Grund?«
»Ja.«
»Aber das ist nicht alles.«
»Nein. Das ist nicht alles.«
Sie setzten sich auf ein niedriges, rissiges Betonwehr.
»Du hast Recht behalten. Meine Mutter
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