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Das 2. Gesicht

Das 2. Gesicht

Titel: Das 2. Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nika Lubitsch
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Vorstellung von seiner Arbeitswelt hatte.
    „Ich hänge fest“, sagte er und es hörte sich ziemlich frustriert an. „Das ist typisch, ich hänge fast immer in der Mitte eines Buches fest, dann finde ich alles, was ich geschrieben habe, einfach Müll.“
    „Zeigst du mir irgendwann, was du geschrieben hast?“
    „Erst, wenn ich damit hundertprozentig zufrieden bin.“
    „Nicht, dass du was wegschmeißt, was fantastisch ist“, sagte ich.
    „Ich schmeiße grundsätzlich nichts weg. Jeder Schnipsel, den ich geschrieben habe, ist irgendwo gespeichert.“
    „Woher weißt du dann, ob was gut ist oder nicht?“, fragte ich George.
    „Ich weiß es eben. Allerdings sind diese Zweifel an einer Geschichte immer da, in der Mitte, die schwersten Seiten sind die zwischen hundert und hundertfünfzig. Du willst zum Schluss kommen, denn du kennst den Schluss. Dein Anfang ist gut, aber in der Mitte, da musst du die Leser bei der Stange halten. Aber eigentlich brauchst du diese Mitte gar nicht, nur du musst den Leser hinhalten, damit es nicht zu schnell vorbei ist. Die Spannung muss unerträglich werden, man will wissen, wie es ausgeht. Es ist ein bisschen wie Sex, weißt du.“
    Ich ließ den Satz in der Luft hängen. Mein Ehemann sprach über Sex.
    „Schlaf gut, Engelchen, und träum’ was Schönes.“ Mit diesen lieben Worten zerschnitt er die Spannung, die sich gerade zwischen uns aufgebaut hatte. Er war ein Meister der Worte und er konnte verdammt gut damit spielen. Mit den Gefühlen von Menschen spielen, seien es nun die seiner Leser oder die seiner Ehefrau.
    „Gute Nacht, du fehlst mir“, flüsterte ich ins Telefon und legte auf.
    Ich schaute auf die Uhr. Es war bereits nach acht. Ich hatte doch Recht, der Makler hatte es auf Sandra abgesehen. Ich gönnte meiner Freundin von Herzen einen netten Abend. Zu Hause arbeitete sie mehr, als ihr gut tat, und wenn sie nicht arbeitete, dann kümmerte sie sich um ihre Geschwister. Ich legte mich mit einem Eistee auf mein Bett und stellte den Fernseher an.
    Die Nachrichten in Amerika sind für Deutsche ziemlich gewöhnungsbedürftig. Weltpolitik findet so gut wie überhaupt nicht statt, für Amerika ist Amerika die Welt. Die Hauptmeldungen sind Sport und Verbrechen. Man hatte mal wieder Teile einer weiblichen Leiche in den Everglades gefunden. Eigentlich erstaunlich, dass man überhaupt noch menschliche Überreste in den Sümpfen fand, die Krokodile schienen auch nicht mehr das zu sein, was sie einmal waren. Auf dem Bildschirm erschien ein Seminole, der berichtete, dass er etwas in den Mangroven hatte schimmern sehen, als er mit seinem Flugboot Touristen durch die Everglades gefahren hatte. Es handelte sich um einen weiblichen Unterschenkel, der fein säuberlich direkt unter dem Knie und über dem Fußknöchel abgetrennt war.
    Was für eine merkwürdige Art, eine Leiche zu zerstückeln, dachte ich. Trotz der intensiven Suche der örtlichen Polizeibehörden wurden keine weiteren Leichenteile gefunden. Danach sah ich einen alten Film mit Robert Redford und Barbra Streisand. Er war herrlich sentimental und ich entschlummerte dabei sanft.
    Ich weiß nicht, wie spät es war, als ich plötzlich hochschreckte. Was war das? War das ein Geräusch? War Sandra nach Hause gekommen? Ich lauschte in die Dunkelheit. Und dann wusste ich, was mich geweckt hatte. Es hatte geklingelt. Nicht etwa an der Haustür, sondern in meinem Kopf.
    Ich lag flach auf dem Rücken und starrte an die Decke, an der es grün und rot blinkte. Flüsternd zitierte ich aus Georges Roman „Everglades – Das ewige Licht“:
    „
Er war ein rationaler Mensch. Also portionierte er sie so, wie es ihm am vernünftigsten erschien. Je ein glatter Schnitt unter dem Knie, ein glatter Schnitt über dem Fußknöchel, ein Schnitt unter dem Beckenknochen. Er nahm die Motorsäge, das feine Blatt, so dass die Schnitte ordentlich und sauber aussahen. So wenig Dreck machen wie möglich. Jedes Stück verpackte er sorgfältig in einem Plastiksack, die kleinen Gliedmaßen kamen in die weißen Mülltüten, den Rumpf steckte er in den großen, schwarzen Müllsack. Und dann kamen sie in die Tiefkühltruhe, dort taten sie keinem weh und waren sicher vor den Augen Neugieriger. Der Fall musste erst erkalten, bevor er seine Tiefkühltruhe entleeren konnte – nach und nach, wenn er mit dem Boot hinausfuhr aufs Meer oder mit seinem Flugzeug über die Everglades flog. Ein Unterschenkel hier, ein Fuß dort. Die Haie und die Alligatoren waren

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