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Das 2. Gesicht

Das 2. Gesicht

Titel: Das 2. Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nika Lubitsch
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unserem Haus aus lieferte, fuhr immer geradeaus, bis am Chiquita Boulevard endlich der Abbieger nach Pine Island erschien. Es war eine elendige Fahrerei, ich konnte mir nicht vorstellen, dass George sich das jeden Tag freiwillig antat. Natürlich nahm er häufig das Boot, das ging viel schneller, aber gelegentlich fuhr er eben auch mit dem Auto zur Standhütte, wahrscheinlich weil er zwischendurch noch ein paar Besorgungen machen musste. Dessous zum Beispiel, dachte ich bitter.
    Pine Island war eine merkwürdige Insel, die durch eine Brücke mit Cape Coral verbunden war. Doch, sie würde zu George passen. Viel mehr als sein Haus in Fort Myers. Hier in Pine Island lebten eine Menge Aussteiger der 68er Generation, alte Herren, mit grauen Pferdeschwänzen, über und über tätowiert, mit langen Bärten und schrecklichen Hunden und noch schrecklicheren uralten Pick-ups. Daneben gab es die Witwen und ihre Kinder und Enkel, die ungeduldig darauf warteten, dass Omi endlich das Zeitliche segnete, damit sie das Haus verkaufen oder nach ihren Vorstellungen umbauen und vermieten konnten. Pine Island war nicht so elegant wie Captiva, hatte nicht den Ostküsten-Öko-Charme wie Sanibel, war nicht so mittelständisch wie Cape Coral. Pine Island war eine Ansammlung von Pinien auf Sand und dazwischen Häuser oder Wohnwagen, die nicht miteinander um den ersten Preis in einer Schönheitskonkurrenz wetteiferten. Dazwischen wurden Palmen angebaut und Tomaten, Ananas und Mangos, die unter Wellblechdächern verkauft wurden. Pine Island strahlte die Schläfrigkeit einer amerikanischen Kleinstadt mit einem Hauch karibischer Lässigkeit aus.
    Ich passierte den German-American Social Club, wo das jährliche Oktoberfest den Höhepunkt der Festsaison im Lee County einläutete, fuhr vorbei an Bubba’s Roadhouse & Saloon, wo man sich durch Zigtausend Erdnussschalen seinen Weg zu einem Tisch bahnen musste. Über die ziemlich neu aussehende Klappbrücke, auf der Männer mit langen Angeln standen, kam ich endlich nach Pine Island. Ich fuhr durch Matlacha mit seinen winzigen Gingerbread-Häuschen, die in leuchtenden Farben angestrichen und mit Pappmaché-Figuren geschmückt waren und den Touristen Karibik vorgaukelten, vorbei an windschiefen Restaurants, die einen beißenden Bratfischgeruch von sich gaben. Dann kam eine ganze Weile gar nichts Interessantes, außer Farm-Outlets, die Obst anboten, das das Doppelte kostete wie im Walmart.
    Die Adresse lag im Süden von Pine Island in der Nähe von St. James City. Ich fuhr langsam an das Haus heran. Es lag nicht am Meer, sondern an einem Kanal. Es war ein hübsches, einstöckiges, zart rosafarbenes Haus mit einer großen Garage, gebaut in dem ebenerdigen Stil, den man sonst vor allem in Cape Coral fand. Vor der Garage stand ein kleiner Chevrolet SUV. Ganz sicher keiner, der George gehörte. Ich drehte noch einmal eine Runde und machte kehrt. In dem Moment ging das Garagentor auf und ein Mann kam mit einem Kind aus dem Haus heraus.
    „Warte auf Mama“, rief er dem Kind zu.
    Deutsche. Eindeutig Feriengäste. Nein, das hier war definitiv die falsche Adresse.
    Frustriert machte ich mich auf den Heimweg. Beruhige dich, sagte ich mir, bleib dran, du wirst Sandra finden. Trotzdem machte mich die lange Fahrt ganz hampelig. Nein, George würde nicht so weit von seinem Strandhaus ein Haus kaufen, das wäre einfach idiotisch. Also doch Estero Beach? Oder Sanibel?

Auf Sandras Spuren
    Irgendwas pochte in meinem Hinterkopf. Sie hatten das Handy von Sandra gefunden. Ausgeschaltet. Aber Sandra wollte eindeutig zu Ferdi Kuhn. Natürlich wusste ich nicht, was die Polizei noch für Anrufe auf ihrem Telefon gefunden hatte. Aber eins wusste ich: Irgendetwas war dazwischen gekommen. War sie auf dem Weg zum Makler entführt worden oder hatte sie diesen Weg erst gar nicht eingeschlagen?
    Der Gedanke sprang aus meinem Hinterkopf in mein Bewusstsein: Vielleicht hatte sie einen Anruf auf unserem Festnetzanschluss zu Hause bekommen. Ich gab Gas und raste über die Brücke zurück nach Fort Myers. Mit quietschenden Bremsen hielt ich in der Einfahrt und stürmte ins Haus. Ich lief in die Küche, wo der Hauptapparat unserer Telefonanlage stand. Ich drückte die Taste mit der Historie. Da wir auf einer Liste standen, dass bei uns Werbeanrufe unerwünscht sind, gab es einen sehr einfachen Anrufverlauf. Elly schien hier nie einen Anruf zu erhalten, und da ich mit Sandra immer geskypt hatte, ist unsere Anrufhistorie geradezu

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