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Das 2. Gesicht

Das 2. Gesicht

Titel: Das 2. Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nika Lubitsch
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würde nicht mal auf die Idee kommen, das Haus ungeschminkt zu verlassen. Als Werbetexterin konnte sie sich das auch leisten. Sie saß in einer Agentur und alles, was man von ihr wollte, waren geile Werbesprüche und Texte, die auch Leser mit einem unterdurchschnittlichen Intelligenzquotienten verstanden. Na ja, vielleicht wollten die Agenturinhaber auch geil aussehende Mitarbeiterinnen, soll ja üblich sein in der Branche. An Sandra war alles natürlich, sogar, wenn sie Gelnägel und Eyelash Extensions hatte. Sie brauchte sich weder zu verstellen, um sexy auszusehen, noch musste sie sich sonderlich anstrengen, um geile Werbesprüche zu finden, denn das pointierte Formulieren lag Sandra ebenfalls im Blut. Wenn wir abends zusammen ausgegangen waren, um mal das Angebot an verfügbaren, willigen, männlichen Singles auf dem Markt zu orten, dann hatte ich immer das Gefühl, mich verkleidet zu haben. Während Sandra direkt aus dem Büro kam, machte ich mich stundenlang zurecht und fühlte mich den ganzen Abend wie auf einem Faschingsball. Ich sagte es ihm, genau so.
    George lächelte. „Deshalb habe ich mich in dich verliebt“, sagte er. „Weil du so bist, wie du bist. Julia. Für mich gemacht. Maßgeschneidert. Mein Engel.“
    Und warum kaufst du dann Reizwäsche für was weiß ich wen, hätte ich am liebsten gefragt. Aber ich habe mich nicht getraut. Warum eigentlich nicht?
    In dieser Nacht blieb George bei mir. Wir haben uns verzweifelt geliebt.

Auf der Suche nach dem Strandhaus
    George hatte Recht: Ich sollte auf blinden Aktivismus verzichten. Ich lag nachts in meinem Bett ganz ungewohnt neben meinem Mann und dachte nach. Was konnte ich tun, wo konnte ich noch recherchieren? Auf jeden Fall musste ich herauskriegen, wieso Sandra ihren Plan, sich mit dem Makler zu treffen, kurzfristig aufgegeben hatte. Wenn ich mal davon ausging, dass sie sich tatsächlich nicht mit ihm getroffen hatte. Das konnte nur bedeuten, dass sie von irgendjemandem eine Information bekommen hatte. Aber von wem? Einen Anruf auf ihrem Handy würde die Polizei mit Sicherheit nachverfolgen. Aber was war eigentlich mit einem Anruf hier bei uns zu Hause?
    Der Morgen graute bereits, als ich merkte, wie George aus dem Bett schlüpfte. Würde er endlich gehen, damit ich recherchieren konnte? Ich hörte, wie er im Badezimmer unter die Dusche ging. Ich hatte in dieser Nacht so gut wie kein Auge zugemacht. Aber das war nicht wichtig. Ich sah vor meinem inneren Auge immer die entsetzten Augen von Sandra über einem silbernen Streifen Klebeband, mit dem jemand ihren Mund verschlossen hatte. Ich sah sie in der Ecke eines Bettes hocken, gefesselt an Händen und Füßen, mit einem zerrissenen Kleid und verlaufener Wimperntusche. Ich hörte ihre stummen Schreie, ich sah sie in einem Haus am Strand, eines mit Stelzen, vielleicht auf Sanibel? Ich sah Werkzeug, Zangen, eine Motorsäge, einen schwitzenden Mann im Unterhemd. Ich fühlte die Hitze, die Angst, die Verzweiflung, ich musste mich beherrschen, nicht laut zu schreien.
    George schlüpfte zur Tür hinaus, ich hörte ihn mit dem Jaguar wegfahren. Inzwischen konnte ich die Geräusche der einzelnen Autos unterscheiden, wusste, welches in welcher Garage stand. Sobald sich das Tor hinter ihm geschlossen hatte, sprang ich aus dem Bett.
    Trotz meiner nächtlichen Horrorvisionen hatte ich ein Mammutprogramm. Als Erstes schnappte ich mir mein Tablet und gab bei instantcheckmate.com den Namen John Roberts ein. John Roberts gab es so viele wie Orangen in Florida. Es würde natürlich helfen, zu wissen, in welcher Stadt ich suchen sollte. Allein im Lee County gab es einige John Roberts, die alle sogar im richtigen Alter waren.
    Nachdenken, Julia, befahl ich mir. Ich hatte ja eine Telefonnummer von Johns Büro und eine E-Mail-Adresse. Nur leider hatte ich die in Deutschland im Computer in meinem ehemaligen Büro. Ich schaute auf die Uhr: sechs Stunden Zeitunterschied. Es würde noch jemand im Büro sein. Ich schnappte mir das Festnetztelefon, rief bei meinem ehemaligen Arbeitgeber an und kriegte Mandy, die nette Assistentin des Verlagsleiters, ans Telefon. Natürlich konnte ich ihr nicht ganz die Wahrheit sagen, aber ich nuschelte etwas von einem Notfall und ich müsse unbedingt den Manager von George erreichen. Das war für sie die leichteste Übung, sie fand die Telefonnummer auf Anhieb.
    „Sag mal“, sagte ich, „haben wir eigentlich von dem Mann auch eine Adresse im Computer?“
    „Nein, die Lizenzverträge sind

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