Das 2. Gesicht
elfte Frau
aus „Everglades – Das ewige Licht“ von George Osterman
Jesus hatte zwölf Apostel, die dafür sorgten, dass sein Wort für alle Zeit in die Welt getragen wurde. Zwölf war auch Roberts magische Zahl, eins und zwei, das erste und das zweite Gesicht, zweimal Sex, zwölf Frauen wie zwölf weibliche Apostel. Joan war seine elfte Frau.
Joan war speziell. Sie war ein wenig älter als die anderen, ihr Gesicht zeigte bereits die ersten Spuren ihres Lebens. Wunderbare Spuren, leichte Fältchen um ihre Augen, Lachfältchen, die ihre Augen, die immer ein wenig belustigt zu schauen schienen, umgaben wie ein exklusiver Bilderrahmen. Ihre hohen Wangenknochen sprachen von ihren aztekischen Vorfahren, ihre langen und schlanken Glieder ließen ihm vor Vorfreude fast die Hose platzen.
Wie immer hatte Robert sich viel Zeit gelassen, um die richtige Frau zu finden. Er durfte keine
Spuren hinterlassen, nichts, das zu ihm zurückverfolgt werden konnte. Die Wissenschaft war schon weit, aber er war der Wissenschaft weit voraus. Man durfte nicht ungeduldig werden, nicht seinen Trieben erliegen, schön langsam und rational vorgehen, mit Bedacht. So wie seine Freunde, die Haie und Alligatoren, seine Brüder, die ihre Beute ganz ruhig beobachteten, bevor sie blitzschnell zuschlugen. Es kam auf innere Ruhe an und auf Schnelligkeit.
Er war ein rationaler Mensch. Er suchte sich die Frauen nicht nur nach Schönheit und Alter aus. Oh nein, sie mussten noch andere Bedingungen erfüllen, seine Bedingungen. Gelegenheit macht Liebe. Und so suchte er die Frauen an Orten, die normalerweise keine Augen hatten. Keine Überwachungskameras, kein Publikum. Jahrelang hatte er an seinem Plan gefeilt, nichts, aber auch gar nichts dem Zufall überlassen. Er hatte seine technischen Kenntnisse inzwischen so weit ausgebaut, dass er regungslos und fast unsichtbar wie ein Alligator in den Sümpfen der Everglades auf seine Beute warten konnte. Und dann schlug er blitzschnell zu.
Brazilian Waxing. Er hatte in dem neuen Waxing Studio eine Überwachungskamera installiert. Wo fühlten sich Frauen absolut unbeobachtet, wo würden sie nie einen Mann erwarten? Genau, bei der Kosmetik. Maniküre, Pediküre, Eyelash Extensions, Gesichtsbehandlungen, das waren die Orte, an denen eine Frau nie einen Mann erwarten würde, der sie beobachtet. Niemals.
Er saß draußen, in gebührendem Abstand in seinem Wagen und beobachtete seine Opfer über einen Monitor. Es kamen beileibe nicht alle Frauen in Frage, um ehrlich zu sein, gab es nur wenige – sehr, sehr wenige, die seinen Ansprüchen genügten und seine Bedingungen erfüllten. Er hatte nicht viel Zeit, er musste arbeiten, viel arbeiten, und sein kleines Hobby war zeitaufwändig. Aber instinktiv wusste er immer, wann es soweit war. Es war, als ob seine Frauen sich bei ihm anmeldeten, als ob sie einen Termin machten, so wie bei der Kosmetikerin. Er hörte sie rufen und dann begab er sich auf seinen Posten.
Joan war ihm schon vor einiger Zeit aufgefallen. Robert war entzückt gewesen von ihren kecken, kleinen, braunen Löckchen, die sich ganz und gar widerspenstig aus ihren nach oben gebundenen Haaren lösten, während sie sich angeregt mit der Kosmetikerin unterhielt.
Er war Joan in gebührendem Abstand gefolgt, als sie den Salon verlassen hatte. Es war so lächerlich einfach, wenn man einmal wusste, wie es ging. Man durfte nicht gleich zuschlagen, die Spur durfte niemals zurückverfolgt werden können.
Wenn er wusste, wo sie wohnten, lief alles nach seinem Muster ab, an dem er jahrelang gefeilt hatte. Es war der perfekte Plan. Am Ende lagen sie auf seiner Liege und konnten sich nicht mehr rühren. Oh, sie konnten noch etwas fühlen, sie konnten schreien, aber sie konnten sich nicht mehr bewegen. Er hatte sie starr gemacht.
Er war der Alligator, der seine Beute lange und ausgiebig beobachtete, der sich Appetit holte. Aber wenn er zuschlug, dann zerlegte er seine Beute so schnell und so rational wie möglich. Er begann immer mit den Füßen. Dann kamen die Unterschenkel. Die, die gerade so schön glatt und haarlos waren …
Julia
Ich ließ das Buch fallen. Es war nicht nur Fiktion, es war real. Das war kein unter der Hand gekauftes Snuff-Video. George hatte die Morde nicht nur auf Papier begangen, er war selbst zum Serienkiller geworden. So weit ging er also bei der Recherche.
Was musste ihm der Schreck in die Glieder gefahren sein, als sie den Unterschenkel von Joan gefunden hatten. Denn es war Joan, die
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