Das 2. Gesicht
meine, wirklich alles. Von Anfang an. Wie ich George zusammen mit J.R. kennengelernt hatte, wie ich mich hoffnungslos in ihn verliebt hatte, wie er mich aus Deutschland nach Las Vegas entführt hatte und wie ich dann schließlich als unglückliche, allein gelassene Ehefrau in Fort Myers gestrandet war. Ich erzählte ihm, wie ich mich beobachtet gefühlt hatte, wie ich hörte, dass Leichenteile gefunden worden waren, die quasi nach Georges Vorlage amputiert worden waren. Natürlich berichtete ich ihm auch von dem Strandhaus, dessen Adresse ich nicht kannte.
„Ach, die Hütte in Pine Island“, sagte Silverstein.
„Pine Island?“, fragte ich. Ich sagte ihm, dass ich keine Ahnung hätte, wo George sich des Nachts aufgehalten hatte, und dass ich unbedingt die Adresse rauskriegen wollte. „Aber die Hütte in Pine Island war wohl nicht auf seinen Namen eingetragen gewesen.“
„Nein, die lief über seine Firma in Grand Cayman. Ist wirklich ein lauschiges Plätzchen da draußen in der Nähe von Bokeelia, da hat er sich immer zurückgezogen zum Schreiben, und der Vorteil war, dass kein Fan ihn dort stören konnte.“
„Ja, aber dadurch bin ich ja auf den Gedanken gekommen, dass er irgendetwas zu verheimlichen hat“, sagte ich. „Es wurde immer schlimmer, ich habe mich gegruselt in diesem Riesenhaus in Fort Myers, allein mit den Angestellten und Lieferanten. Er schien auch keine Freunde zu haben, ich war völlig isoliert. Umso mehr habe ich mich gefreut, als meine Freundin Sandra zu Besuch kam. Erstaunlicherweise mochte George Sandra, obwohl er sonst wohl eher etwas gegen attraktive Frauen hatte.“
Silverstein schaute mich an, als ob ich nicht ganz dicht wäre.
„Das ist mir neu, dass George etwas gegen attraktive Frauen hat, weshalb sonst sollte er Sie geheiratet haben?“
„So habe ich das nicht gemeint“, sagte ich und wurde mal wieder rot. Wie sollte ich einem fremden Mann unser sehr kompliziertes Eheleben erklären? Durfte ich das? War ich nicht gegenüber George zur Solidarität verpflichtet? Wenn er mich schon gerettet hatte, durfte ich nichts unternehmen, um seinen Ruf zu zerstören. Oder? Nun gut, ich musste mich zunächst erst mal selbst retten. Also erzählte ich Silverstein von unserem Eheleben. Und bat ihn zu entscheiden, was er mit dieser Information anfangen könnte. Was ich auf keinen Fall wollte, war, dass George öffentlich demontiert werden würde. Er war eine amerikanische Ikone, und die sollte er auch bleiben. Silverstein hörte mir geduldig zu und machte dabei ein Gesicht, als ob er einen Krümel unter seinen blitzend weißen Jacketkronen hatte.
Als ich fertig war, nickte Silverstein. „Ja“, sagte er, „so wird ein Schuh daraus. Ich werde mir sorgfältig überlegen, wie wir das darstellen werden, ohne George zu beschädigen. Aber vorrangig geht es jetzt erst einmal um Ihre Freundin Sandra und Ihre Rolle kurz vor der Festnahme. Wir haben das Gespräch zwischen J.R. und Ihnen in seinem Haus in Captiva auf Georges Handy. Da erkennt man sehr schnell, dass Sie nicht J.R.s Komplizin waren. Allerdings sind das zwei unterschiedliche Behörden, die die Fälle bearbeiten, so dass die Beweislage ein wenig kompliziert ist. Darüber hinaus werden Sie morgen dem Haftrichter vorgeführt werden, sonst können die Leute vom Sheriff Sie hier nicht länger festhalten. Das kriegen wir hin, Mädelchen“, sagte er und tätschelte meine Hand.
Pine Island
William Silverstein hat es hingekriegt. Die Anklage lautete auf „versuchte Tötung und schwere Körperverletzung“. Der Haftrichter hat mich für eine Kaution in Höhe von 100.000 Dollar vorläufig auf freien Fuß gesetzt. Die Verhandlung ging schneller, als ich dachte, und wurde von Silverstein mit einer wirklich beeindruckenden Routine absolviert. Er gab mir jede Sekunde das Gefühl, in Sicherheit zu sein. Silverstein hat die Kaution für mich hinterlegt. Ich darf Florida nicht verlassen, aber wohin sollte ich auch gehen?
Ich gehörte jetzt an die Seite meines kranken Mannes und meiner Freundin Sandra, die noch darauf wartete, dass irgendeine Erinnerung einsetzte. Ich hoffte für Sandra, dass sie diese entsetzliche Episode für immer aus ihrer Erinnerung streichen kann.
Mit Zähnen und Klauen habe ich dafür gekämpft, dass man ihr dieses wahnsinnige Video nicht zeigen würde. Das menschliche Gehirn ist gnädiger als die amerikanischen Justizbehörden. Aber J.R. ist tot, das Monster würde für immer schweigen. Das SWAT-Team hatte ihn im Nebel
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