Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das 2. Gesicht

Das 2. Gesicht

Titel: Das 2. Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nika Lubitsch
Vom Netzwerk:
sagte ich.
    „Aber Sie konnten ihr nicht helfen“, sagte sie.
    „Nein, der Kerl hatte seine Pistole auf mich gerichtet und … Was ist überhaupt passiert?“
    „Sie erinnern sich also noch daran, dass Sie mit John Roberts nach Fort Myers gefahren sind?“, fragte sie.
    „Ja“, sagte ich, „er hatte mich betäubt und hinten in seinen Lieferwagen in eine Kiste gesetzt, damit ich nicht von den Kameras auf der Brücke von Sanibel erfasst werden konnte. Aber ich war die ganze Zeit bei Bewusstsein, ich konnte mich nur nicht bewegen. Ich habe keine Ahnung, was er mir gespritzt hat.“ Und dann, nach einer Weile flüsterte ich in das Schweigen von O’Kelly hinein: „Er ist tot, nicht wahr?“
    „Ja, er ist tot“, sagte sie.
    Ich sackte auf dieser schmalen Liege in mich zusammen. Ich hatte ihn umgebracht, meinen Ehemann, meine ganz große Liebe. Ich hatte George erschossen, weil ich geglaubt hatte, dass er ein Monster war. Dabei war er ein harmloser, erfolgreicher, vielleicht latent schwuler Thrillerautor, der mich geliebt hatte. O’Kelly versuchte erfolglos mich zu beruhigen.
    „Und Sandra, was ist mit Sandra? Sie hatte versucht, mir zu helfen, nur deshalb ist sie in diesen ganzen Schlamassel geraten. Bitte, wo ist meine Freundin?“, fragte ich und wusste, dass es nichts auf der Welt mehr gab, was mich würde trösten können.
    „Ihre Freundin ist schwer traumatisiert. Sie kann sich an nichts erinnern im Moment. Aber das wird wiederkommen. Im Moment schützt es sie. Körperlich ist sie wohl unversehrt, so wie wir das bis jetzt beurteilen können“, sagte sie.
    „Danke“, flüsterte ich. „Wenigstens Sandra lebt, wenigstens Sandra … Was ist denn genau passiert, wie sind wir eigentlich befreit worden?“ Diese Frage hatte ich mir komischerweise bis jetzt noch nicht gestellt.
    „Das werden Ihnen die Kollegen von der Polizei sicher besser erklären können“, sagte sie. „Die im Übrigen ungeduldig darauf warten, mit Ihnen und Sandra sprechen zu können.“
    „Mich zu verhören, meinen Sie wohl“, sagte ich. Oh mein Gott, ich fühlte mich so elend, dass ich am liebsten gestorben wäre. Wie sollte ich meinen Irrtum nur erklären, wie sollte ich den Polizisten klar machen, dass ich geglaubt hatte, in Notwehr zu handeln? Mit einem Mal war alles wieder da, was in den letzten Stunden hier im Krankenhaus so überlagert gewesen war von den Ereignissen in der Edison Mall.

Unter Verdacht
    Ich habe später versucht, den Wahnsinn in diesem türkisfarben gefliesten Raum in der Edison Mall zu rekonstruieren. Denn es war alles so schnell gegangen, dass ich kaum mitbekam, was sich tatsächlich abgespielt hatte. Dabei half mir übrigens die festgeklebte Kamera in meiner Hand, die all das, was passierte, aufnahm. Nur das mit dem Kommentieren hatte nicht geklappt, denn ich war ohnmächtig geworden.
    Die Polizei hatte ein SWAT-Team zur Edison Mall geschickt. Mit mehreren Minikameras waren sie unter den Türen und durch die Klimaanlage in diesen Raum eingedrungen und hatten gesehen, dass wir dort gefesselt waren. Als J.R. zum Skalpell gegriffen hatte, haben sie künstlichen Nebel durch die Klimaanlage eingeführt und die Tür aufgestemmt.
    Deshalb also hatte ich alles wie im Nebel gesehen, als ich aus meiner Ohnmacht erwachte. Man sah auch auf diesem Video nicht viel, aber die gesamte Kakofonie des Wahnsinns war zu hören. Die Schreie, die Schüsse, die Befehle, später dann die Sirenen. Die Polizei von Lee County war gerade noch im letzten Moment gekommen.
    Trotzdem ließ man mich nicht zu Sandra. Vielleicht wollte man verhindern, dass wir uns gegenseitig absprachen. Oder dass ich ihre Erinnerung irgendwie beeinflusste. Ich wurde nicht von einem oder zwei Polizisten verhört, sondern von mehreren Teams, immer abwechselnd. Das Team vom Sheriff und das Team von der Bundespolizei. So richtig lieb hatten die sich nicht untereinander. Aber es gab nicht einen Kriminalfall, es gab zwei. Bei einem war ich das Opfer. Bei dem anderen war ich die Täterin.
    Immer und immer wieder hat man mir dieses Video vorgespielt. Denn es war ja nicht so, dass es nur Szenen im Nebel gab. Das Video begann damit, dass ich in einem Ton mit J.R. redete, den ich einer schlechten Schauspielerin in einem B-Movie zugestehen würde.
    Und das hörte sich so an:
    „Du hast die Hure also noch verschont“, sagte ich.
    „Immer schön langsam, komm her, ich zeige dir, was ich mit ihr machen werde“, sagte J.R. und drückte mir die Pistole in den

Weitere Kostenlose Bücher