Das 2. Gesicht
erledigt.
Von ihm hatte O’Kelly gesprochen, als sie sagte, er sei tot. Nicht von George, der immer noch im künstlichen Koma im Lee Memorial lag. Sandra durfte nach ihrer Aussage vor dem Haftrichter zurück nach Deutschland fliegen, natürlich würde sie zu meinem Prozess wieder nach Florida zurückkehren.
Zwischen uns war etwas zerbrochen. Vielleicht war es mein schlechtes Gewissen ihr gegenüber, das unser Verhältnis belastete. Es war eine Art von Sprachlosigkeit zwischen uns getreten, zwischen uns, die wir früher nicht genug bekommen konnten vom Schnattern und Ratschen. Ich liebe Sandra so sehr, aber sie war meinetwegen in diesen Riesenschlamassel geraten. Sie hatte mir helfen wollen und hätte dafür beinahe ihr Leben gelassen. Immer wieder flehte sie mich an, mir zu erzählen, was mit ihr passiert sei. Ich habe es ihr nicht erzählen können. Natürlich hat sie alle verfügbaren Zeitungen gelesen und sich alle Informationen aus dem Internet gezogen. Aber die Polizei war mit ihren Angaben nicht besonders freigiebig, so dass Sandra sich kein vollständiges Bild von dem Geschehen in dem türkisfarben gefliesten Raum machen konnte. Ich wollte sie schützen, aber sie nahm es mir übel, fühlte sich ausgegrenzt, so, als ob sie an meinem Leid nicht teilhaben durfte.
Genaugenommen war es ja auch so, ich wollte sie an meinem Leid nicht teilnehmen lassen. Jedenfalls nicht an diesem. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es ist, wenn man einen – wenn auch winzigen – Teil seines Lebens einfach verliert. Sandra zermarterte sich das Gehirn, auf der Suche nach etwas, was sie fast umbringen würde. Denn ich wusste, wie sie sich anfühlte, diese Erinnerung. Ich werde die Erinnerung mein ganzes Leben lang nicht loswerden, sie wird mich verfolgen in meinen schlaflosen Nächten, mich in meinen Albträumen aufsuchen, sie wird mich in jedem türkis gefliesten Raum überfallen, sie wird mich in den Everglades genauso verfolgen wie auf den Brücken über den Caloosahatchee, sie wird mich jedes Mal anspringen, wenn ich einen Gefrierschrank öffne. Ich werde nie wieder eine Kneifzange benutzen können oder den Anblick eines Rasiermessers ertragen können. Schon wenn ich silberfarbenes Klebeband sehe, bekomme ich Schweißflecken unter den Armen.
Ich habe Sandra aus dem Krankenhaus abgeholt, das weiträumig von Medienwagen umstellt war. Sie wollte so schnell wie möglich nach Hause. Nach Berlin. Ja, das war besser so, in Berlin war Sandra in Sicherheit, weit weg von den Hyänen in Florida. Denn dass wir von den Medien belagert wurden wie Leningrad im Zweiten Weltkrieg, war etwas, was wir in dieser Form nicht erwartet hatten. Dazu dachten wir einfach zu deutsch. Die Zeitungen überboten sich mit ihren Schlagzeilen:
Osterman durch Ehefrau angeschossen.
Thrillerautor im Kugelhagel fast verblutet.
Ostermans Thriller Vorlage für Serienkiller?
Ehefrau schießt auf Bestsellerautor.
Osterman überlebt knapp Anschlag von Ehefrau. Osterman rettet Ehefrau vor Killer.
Osterman: Ein Held wie in seinen Büchern.
#1 Autor beschäftigt Serienkiller als Manager.
Vom Thrillerschreiber zum Thrillerhelden.
Wird Osterman jemals wieder morden können?
Ein Mord, wie er im Buche stand.
Natürlich gab es weltweit Spekulationen darüber, was Ostermans Ehefrau im Haus seines Managers getan und weshalb sie dort mit einer Waffe herumgespielt hatte. Dass sein Manager ein Serienkiller war, der nach der Vorlage der Romane seines Autors mordete, hatte man natürlich an die Presse gegeben, ebenso, dass Osterman selbst es war, der die Polizei auf die Spur seines Managers setzte und so seine Frau und deren Freundin vor der sicheren Zerstückelung bewahrt hatte.
Ich konnte keinen Schritt mehr aus dem Haus machen, ohne von einer Meute hungriger Journalisten verfolgt zu werden. Sie bombardierten mich mit Fragen, die ich selbstverständlich nicht beantwortete. Nachdem ich Sandra endlich sicher in die Air-Berlin-Maschine nach Düsseldorf verfrachtet hatte, spielte ich mit den Medien Pingpong. Von Zuhause zum Lee Memorial, wo mein Mann lag und zurück.
Natürlich konnte mich George nicht verstehen. Ich saß stundenlang an seinem Bett, kühlte sein Gesicht, benetzte mit einem Q-Tip seine Lippen, wischte mit dem Laken seine Stirn und bat ihn flüsternd um Verzeihung. Stunde um Stunde habe ich in diesem farblosen Krankenzimmer an seiner Seite ausgeharrt. Immer wieder sah ich die Szene vor mir, wie wir uns in Berlin am Flughafen kennengelernt hatten, wie ich
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