Das 2. Gesicht
bezahlen sollte. Also setzte ich mich wieder mit Silverstein in Verbindung. Der sagte mir, dass wir ja nun schlecht die Herausgabe der Akten von J.R. beantragen konnten, solange der Prozess noch nicht abgeschlossen war. Er würde sich um die Erledigung der geschäftlichen Angelegenheiten von George jetzt kümmern, ich sollte mir keine Sorgen machen. Darüber hinaus richtete er mir ein eigenes Konto ein, auf das er mir monatlich eine Summe von 10.000 Dollar zahlen würde, damit ich meine Ausgaben begleichen konnte.
Schade, ich hatte gehofft, dass er mir die Adresse der Strandhütte geben würde. Denn es gab so einiges, was ich über meinen Ehemann sehr gern noch in Erfahrung gebracht hätte, ohne es Mr. Silverstein auf die Nase binden zu wollen. Auch, wenn ich mich bei Silverstein durchaus gut aufgehoben fühlte. Ich wollte vorbereitet sein auf den Moment, wenn mein Mann wieder aufgeweckt wurde.
Also reifte in mir der Entschluss, die Strandhütte nun wieder auf eigene Faust zu suchen. Aber zunächst musste ich die Medienmeute austricksen, die zwar kleiner geworden war, weil in unserer schnelllebigen Zeit nichts älter ist als die Meldung von gestern, aber mir immer noch an den Fersen hing, wenn ich das Krankenhaus oder Georges Haus verließ. Ich musste also irgendwo irgendwie verschwinden. Aber wie?
Wozu hat man eigentlich Mitarbeiter? Elly kam jeden Tag mit dem Auto. Ich habe ihr mit Händen und Füßen erklärt, dass ich mal ohne Journalisten etwas erledigen musste. Beim gefühlten zehnten Mal hatte sie es verstanden. Ich machte also zwei Termine bei meinem Friseur. Der hat vorne einige Parkplätze und weitere hinten in der Mall.
Ich parkte den Jaguar vorn auf dem Parkplatz und ließ mir die Haare schneiden. Eine halbe Stunde später kam Elly mit ihrem acht Jahre alten Toyota und parkte am Hinterausgang. Wir tauschten die Autoschlüssel und ich fuhr über die Seitenausfahrt mit dem Toyota der Meute davon.
Das Ziel hieß Pine Island. Silverstein hatte mir zwar nicht die Adresse von Georges Strandhaus verraten, wohl aber die Gegend: Bokeelia, das nördliche Ende von Pine Island. Ich war ja bereits einmal auf der Suche nach dem Strandhaus auf Pine Island gewesen, allerdings in St. James City, also direkt auf der entgegengesetzten Seite. Jetzt nahm ich am Pine Island Center die Straße Richtung Norden, vorbei an den Palmenplantagen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das Haus finden sollte, und verließ mich einfach auf mein Glück. Und dann sah ich ein Schild: Capt’n Con’s Fish House. George wird sich doch wohl mal was zu essen geholt haben, dachte ich mir und parkte den Toyota gegenüber, direkt neben der langen Brücke, die von hier aus ins Meer ging. Mindestens dreißig Pelikane versuchten, den Männern, die auf der Brücke angelten, ihre Beute abzujagen.
Ich hatte mir für mein Tarnmanöver vor dem Friseur ein Basecap übergestülpt, das mir jetzt gute Dienste leistete. Denn niemand erkannte mich, als ich das Restaurant betrat. Ich suchte mir einen Platz an der Bar, die ein wenig versteckt im hinteren Teil des Restaurants lag. Um diese Tageszeit war das Restaurant brechend voll, die Anwohner und Besucher schätzten offensichtlich die Happy Hour. Ich bestellte einen Iced Tea und einen Crab Cake. Der Barkeeper hatte reichlich zu tun, so dass er mich keines Blickes würdigte. Gut so. Es war ein wenig stickig in dem voll besetzten Restaurant. Allerdings bot es sich nicht an, in dieser Jahres-und Tageszeit auf die Terrasse zu gehen, denn die Sandmücken, Noseeums genannt, fielen gerade hungrig über die frisch eingetroffenen Touristen her, die in den nächsten Tagen über eklig juckende, rote Flecken fluchen würden: Florida-Röteln.
Als ich die Rechnung bestellte, fragte ich den Mann hinter dem Tresen beiläufig, ob hier in der Gegend nicht irgendwo ein Schriftsteller sein Strandhaus hätte. Selbstverständlich bezahlte ich hier nicht mit Kreditkarte, die schließlich auf den Namen Julia Osterman lief. Der Mann nahm also mein Bargeld, zeigte in eine Richtung und sagte gestresst: „Das grauweiße Haus am Ende der Straße.“
„Der ist aber gerade Matsch“, fügte er hinzu und meinte damit Georges Gesundheitszustand.
Bingo! Ich wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen, hielt mich aber vornehm zurück und rutschte schnell vom Barhocker. Wie gut, dass der Kerl so einsilbig war, das ersparte mir sämtliche Erklärungen. Schnell verließ ich das Lokal und bestieg Ellys dunkelgrünen Toyota.
Das Haus war nicht
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