Das 2. Gesicht
diesen Starverteidigern leisten, die man hier brauchte? Ich glaube nicht, dass ich von meinem Mann einen Penny Geld erben würde, schließlich hatte ich ihn erschossen. Vermeintliche Notwehr oder nicht. Was also sollte ich tun?
Ich fragte O’Kelly.
William Silverstein
„Ihr Anwalt ist bereits da“, sagte O’Kelly. Und dann stand er vor mir: William Silverstein. Er sah genauso aus, wie er hieß. Ein voller, silberner Schopf, distinguiert bis in die gewichste Schuhspitze, anthrazitfarbener Anzug mit silbernem Schimmer und ein blütenweißes Hemd. Dazu eine silberblaue Krawatte. Wow, einen so gut angezogenen Mann hatte ich in Florida bisher nur im Fernsehen gesehen. Und auch das eher selten. Das sollte mein Anwalt sein?
Spontan sagte ich: „Ich fürchte, ich kann Sie mir nicht leisten.“
William Silverstein gab mir seine manikürte Hand und zeigte die Andeutung eines Lächelns, das zwar nicht in seinen Augen ankam, aber seinen rechten Mundwinkel um circa vier Millimeter nach außen schnellen ließ.
„Keine Sorge, ich werde bezahlt“, sagte er.
Wie ein Pflichtanwalt sah William Silverstein nun wirklich nicht aus. Ich hatte genügend amerikanische Filme in meinem Leben gesehen, um zu wissen, dass dieser Mann Millionen verdiente.
„Von wem werden Sie bezahlt?“, fragte ich mutlos.
„Von George Osterman natürlich.“
„Der ist tot“, sagte ich.
„Wer sagt das denn?“
„Ich habe ihn erschossen“, sagte ich. „Das ist doch wohl der Grund, warum Sie hier sind.“
„Sie sollten ein wenig zurückhaltender mit Ihren Aussagen sein“, sagte Silverstein und setzte sich neben mich. „George hat mir eine SMS geschickt: ‚Hilf meinem Mädchen.‘ Und damit können eindeutig nur Sie gemeint sein.“
„SMS? Wie, wann? George lebt? Das ist unmöglich!“ Ich war total verwirrt. Diese Polizisten hatten mich hier fast gefoltert mit ihren Fragen, wie und warum ich meinen Mann erschossen hatte, dabei lebte mein Ehemann noch? Warum hatte mir das keiner gesagt?
„Er lebt und er wird es überleben, Julia“, sagte Silverstein. „Er wurde von den Ärzten in ein künstliches Koma versetzt, damit er sich schneller von den Schussverletzungen erholen kann. Er hat schwere innere Verletzungen, eine Lebertransplantation wird vorbereitet.“
„Lieber Gott, ich danke dir“, flüsterte ich und sackte auf dem Tisch zusammen. „Darf ich zu ihm?“
„Wenn wir Sie hier rausgepellt haben“, sagte Silverstein. „Einer Anklage wegen schwerer Körperverletzung werden Sie wohl nicht entkommen, aber ich habe die Aussage von George, dass Sie in vermeintlicher Notwehr gehandelt haben.“
„Wann haben Sie mit ihm gesprochen?“, fragte ich.
„Er hat alles, was Sie mit seinem Bruder gesprochen haben, mit dem Handy aufgezeichnet. Und als John Roberts Sie dann nach Fort Myers verschleppt hat, hat er mit letzter Kraft zuerst die Polizei angerufen und den Ort genannt, wo er glaubte, dass man Sie finden würde. Wie glauben Sie, ist die Polizei John Roberts sonst auf die Spur gekommen?“
Ich schaute Silverstein entsetzt an. Nicht wegen der Nachricht als solcher, sondern weil ich merkte, wie verwirrt und vernagelt ich offensichtlich in den letzten vierundzwanzig Stunden gewesen sein musste. Ich hatte nicht mal gefragt, woher die Polizei überhaupt gewusst hatte, wo Sandra und ich waren. Ich war davon ausgegangen, dass sie J.R. wahrscheinlich schon vorher im Visier hatten oder dass die Suche nach Sandra Erfolg gehabt hatte. Auf den Gedanken, dass mein verblutender Mann mit letzter Kraft die Kavallerie geschickt hatte, wäre ich nicht gekommen.
„Kurz bevor die Polizei bei Ihnen war, hat er mir dann noch die SMS geschickt“, sagte Silverstein.
Mein geliebter Mann. Danke, George. Danke. Ich hatte ihn fast getötet und er dachte nur daran, mir zu helfen. Diese Schuld würde ich nie in meinem Leben wiedergutmachen können.
„Woher kennen Sie George?“, fragte ich. Es war komisch, einen Menschen zu treffen, mit dem George offensichtlich so viel Kontakt hatte, dass er in seinem Telefon gespeichert war.
„Er hat mich oft angerufen, wenn er rechtliche Fragen hatte. Sie werden meinen Namen auch bei den Danksagungen hinten in seinen Büchern finden.“
Dass ich darauf nicht gekommen war! Natürlich, jetzt wusste ich, warum mir der Name William Silverstein bekannt vorkam. Er war der Starverteidiger in schwierigen Mordanklagen. Jetzt wusste ich, dass ich in guten Händen war.
Und dann erzählte ich Silverstein alles. Ich
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