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Das 3. Buch Des Blutes - 3

Das 3. Buch Des Blutes - 3

Titel: Das 3. Buch Des Blutes - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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hatte er wenig erfahren, das er nicht schon erraten hatte. Das einzige, was er jetzt tun konnte, war, dieses Scheusal, das seine Schönheit besaß, ausfindig zu machen und es zu erledigen.
    Wenn ihm das nicht gelang, dann scheiterte damit auch der Versuch, seine einzige außer Zweifel stehende Eigenschaft zu retten: ein Gesicht, das bildschön war. Das Gerede über Seelen und Menschennatur war für ihn nichts weiter als vergeudete Luft. Er wollte sein Gesicht.
    Eine seltene Zielstrebigkeit lag in seinem Schritt, als er die Kensington überquerte. Nachdem er nun jahrelang ein Opfer der Umstände gewesen war, sah er letztere endlich in einer Gestalt verkörpert. Er würde einen Sinn aus ihr herausbeuteln
    - oder bei dem Versuch sterben.
    In seiner Wohnung zog Reynolds den Vorhang beiseite, um zuzusehen, wie sich das Bild eines Abends auf das Bild einer Großstadt senkte.
    Keine Nacht, an deren Ende er noch leben, keine Großstadt, deren Straßen er noch einmal betreten würde. Seufzerlos ließ er den Vorhang fallen und hob das kurze Stoßschwert auf. Die Spitze setzte er sich an die Brust.
    »Na, mach schon«, sagte er zu sich selbst und dem Dolch und drückte zu. Aber der Schmerz, als die Klinge einen bloßen Zentimeter in seinen Körper eindrang, reichte aus, daß ihm davon schwindlig wurde; er wußte, er würde die Besinnung verlieren, noch ehe die Aufgabe halb erledigt war. Also ging er zur Wand hinüber, stützte den Griff dort ab und ließ sich von seinem eigenen Körpergewicht pfählen. Auf diese Weise klappte es. Er war sich nicht sicher, ob ihn das Schwert ganz aufgespießt hatte, aber der Blutmenge nach hatte er sich mit Sicherheit selbst getötet. Zwar versuchte er, es irgendwie zu schaffen, sich umzudrehen und dann auf das Schwert fallen zu lassen, um ihn so bis ans Heft in sich hineinzutreiben, aber er verpatzte die Figur und fiel statt dessen auf die Seite. Der Aufprall machte ihm die Klinge in seinem Körper überdeutlich bewußt, eine starre, lieblose Gegenwart, die ihn gänzlich durchbohrte.
    Gute zehn Minuten brauchte er zum Sterben, aber während dieser Zeit war er, abgesehen vom Schmerz, zufrieden. Trotz all der Fehler seiner siebenundfünfzig Jahre, und von denen gab es viele, fühlte er, daß er auf eine Weise zugrunde ging, derer sich sein geliebter Flavius nicht geschämt hätte.
    Gegen das Ende zu fing es an zu regnen, und das Geräusch auf dem Dach ließ ihn glauben, Gott begrübe das Haus und versiegelte ihn für immer in der Erde. Und als der Augenblick gekommen war, erschien mit ihm eine herrliche Täuschung: eine Hand, die ein Licht trug und von Stimmen begleitet war, brach durch die Wand, Geister der Zukunft, gekommen, um seine Geschichte auszugraben. Er lächelte zu ihrer Begrüßung und war gerade im Begriff zu fragen, in welchem Jahr er denn sei, als ihm klar wurde, daß er tot war.
    Die Kreatur ging Gavin aus dem Weg, und zwar weitaus geschickter als er vorher ihr. Drei Tage verstrichen, ohne daß ihr Verfolger sie auch nur aus der Ferne erspäht hätte.
    Doch die Tatsache, daß sie da war, nah, aber nie zu nahe, war unbestreitbar. In einer Bar sagte jemand beispielsweise: »Hab’
    dich gestern nacht auf der Edgware Road gesehen«, obwohl er ganz woanders gewesen war, oder: »Wie is’n das zwischen dir und dem Araber gelaufen?«, oder: »Redest wohl mit deinen Freunden nicht mehr?«
    Und, Gott, bald war ihm das Gefühl liebgeworden. Die Qual wich einem Vergnügen, das er seit seinem dritten Lebensjahr nicht mehr gekannt hatte: Unbekümmertheit.
    Was tat es schon, wenn noch jemand sein Revier abgraste und dabei Gesetz wie Strich-Insider irreführte; was tat es schon, wenn seine Freunde (was heißt Freunde? Blutegel!) von dieser hochnäsigen Kopie mit Schnitten traktiert wurden; was tat es schon, wenn ihm sein Leben gestohlen worden war und in seiner Gänze von einem Stellvertreter übernommen wurde? Er konnte sich schlafen legen mit dem Bewußtsein, daß er - oder etwas ihm derart Ähnliches, daß es auf dasselbe hinauslief nachts wach war und heiß verehrt wurde. Allmählich sah er in der Kreatur kein ihn terrorisierendes Monster mehr, sondern sein Werkzeug, sein öffentlich sanktioniertes Ich beinah. Sie war der Körper: er der Schatten.
    Er erwachte, träumte aber immer noch.
    Es war Viertel nach vier am Nachmittag, und das Verkehrsgewinsel von der Straße unten war laut. Ein Zimmer im Zwielicht, die Luft x-fach ein- und ausgeatmet, so daß sie nach seiner Lunge roch. Eine Woche

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