Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das 3. Buch Des Blutes - 3

Das 3. Buch Des Blutes - 3

Titel: Das 3. Buch Des Blutes - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
Vom Netzwerk:
hatte, überhaupt kein Mann war, sondern eine bestimmte Art Bildwerk, das schrittweise zu einer Replik von ihm selber wurde? Die Frage war nicht, ob man ihn einsperren, sondern in welches Loch er kommen würde: ins Gefängnis oder ins Irrenhaus?
    Verzweiflung mit Nicht-wahrhaben-wollen überspielend, ging Gavin zur Unfallstation, um nach seinem Gesicht sehen zu lassen. Geduldig wartete er dort dreieinhalb Stunden mit Dutzenden ähnlicher Leichtverwundeter.
    Der Arzt zeigte keinerlei Mitgefühl. Nähen habe jetzt keinen Sinn mehr, sagte er, der Schaden sei nicht mehr zu beheben; natürlich könnte und würde man die Wunde säubern und verbinden, aber eine schlimme Narbe sei unvermeidlich. Warum sind Sie nicht letzte Nacht gekommen, als es passiert ist?
    fragte die Schwester. Gavin zuckte mit den Achseln: Hol’s der Teufel, was machte das denen schon aus ? Künstliches Mitleid half ihm kein bißchen.
    Als er in seine Straße einbog, sah er die Wagen vor dem Haus, das Blaulicht, die Ansammlung von Nachbarn, die grinsend tratschten. Zu spät, um noch auf irgend etwas von seinem bisherigen Leben Anspruch zu erheben. Mittlerweile waren sie im Besitz seiner Kleider, seiner Kämme, seiner Duftwässer, seiner Briefe - und sie würden sie durchfilzen wie Affen auf der Läusejagd. Er hatte gesehen, wie gründlich diese Mistkerle sein konnten, wenn es ihnen in den Kram paßte, wie vollständig sie die Identität eines Mannes erfassen und wegstecken konnten.
    Auffressen, aufsaugen: Sie konnten einen ausradieren, todsicher wie ein Schuß, und einen doch als wandelnde Null am Leben lassen.
    Da half überhaupt nichts mehr. Sein Leben gehörte jetzt ihnen, sie konnten darüber feixen und geifern - vielleicht sogar kurz außer Fassung geraten, einer oder zwei von ihnen, wenn sie seine Fotos sähen und sich fragten, ob sie womöglich selber für diesen Jungen gezahlt hätten, in irgendeiner geilen Nacht.
    Sollen sie ruhig alles haben. Bitteschön, die Herren. Von jetzt an war er ein Gesetzloser, weil Gesetze zum Schutz von Besitztümern da sind und er keine mehr hatte. Sie hatten ihn leergewischt, oder doch so gut wie: Er hatte weder eine Bleibe noch irgend etwas, das ihm gehörte. Nicht einmal Angst hatte er, das war das Merkwürdigste.
    Er kehrte der Straße und dem Haus, in dem er vier Jahre gewohnt hatte, den Rücken und empfand etwas Ähnliches wie Erleichterung, ja Glück, daß ihm sein Leben in seiner verwahrlosten Gänze gestohlen worden war. Er war nur um so unbeschwerter.
    Zwei Stunden später, und kilometerweit weg, nahm er sich Zeit, den Inhalt seiner Taschen zu untersuchen. Er hatte eine Kreditkarte bei sich sowie beinah hundert Pfund in bar, eine kleine Auswahl Fotos, einige von seinen Eltern und seiner Schwester, die meisten von ihm selbst; eine Uhr, einen Ring und eine Goldkette um den Hals. Die Karte zu benützen könnte gefährlich sein — sicherlich hatten sie mittlerweile seine Bank informiert. Es war wohl das beste, den Ring und die Kette zu versetzen und dann Richtung Norden zu trampen. Er hatte Freunde in Aberdeen, die ihn eine Weile verstecken konnten.
    Aber erst noch - Reynolds.
    Gavin brauchte eine Stunde, um das Haus zu finden, in dem Reynolds wohnte. Es war jetzt bald vierundzwanzig Stunden her, seit er zum letztenmal gegessen hatte, und während er vor dem Livingston-Wohnkomplex stand, beschwerte sich sein Bauch hörbar. Er befahl ihm, sich ruhig zu verhalten, und schlüpfte in das Gebäude. Das Innere wirkte bei Tageslicht weniger beeindruckend. Die Trittfläche des Treppenläufers war abgewetzt und die Farbe am Geländer speckig vom Ge brauch.
    Gemächlich stieg er die drei Stockwerke zu Reynolds’ Wohnung hinauf und klopfte.
    Niemand antwortete, auch kam von drinnen nicht der geringste Laut einer Bewegung. Natürlich, Reynolds hatte ihm gesagt: Kommen Sie nicht wieder - ich werd’ nicht dasein. Hatte er irgendwie geahnt, welche Konsequenzen es haben würde, dieses Wesen auf die Welt loszulassen?
    Gavin pochte nochmals an die Tür, und diesmal war er sich sicher, daß er dahinter jemanden atmen hörte.
    »Reynolds…«, sagte er und drückte gegen die Tür. »Ich kann Sie hören.«
    Niemand reagierte, aber da war jemand, ganz eindeutig. Gavin schlug mit der flachen Hand gegen die Tür.
    »Los, machen Sie schon auf. Machen Sie auf, Sie Mistkerl.«
    Ein kurzes Schweigen, dann eine gedämpfte Stimme. »Verschwinde.«
    »Ich will mit Ihnen reden.«
    »Verschwinde, hab’ ich gesagt, verschwinde. Ich

Weitere Kostenlose Bücher