Das 3. Buch Des Blutes - 3
Dann griff er hinein und zog das wimmernde Männchen aus seiner Zufluchtsstätte. War das einer aus der Gattung, die ihn unterworfen hatte ? Dieser verängstigte Winzling mit seinen Schwabbellippen? Er lachte über das Klagegezeter, drehte Gissing dann herum und hielt ihn, Kopf nach unten, an einem Fuß fest. Er wartete, bis die Schreie sich legten, langte dann zwischen die zuckenden Beine und fand die Männlichkeit des Winzlings. Nicht groß. Ganz eingeschrumpelt vor Angst, genaugenommen, nichts davon gab irgendeinen Sinn. Nur einen Laut aus dem Mund des Mannes verstand Rohkopf durchaus, den Laut, den er jetzt hörte, dieses hohe Kreischen, das beim Kastrieren nie fehlte. Sobald er fertig war, ließ er Gissing neben den Wagen fallen.
In dem zertrümmerten Motor war ein Feuer ausgebrochen, er konnte es riechen. Er war nicht so sehr Tier, daß er Feuer gefürchtet hätte. Respektieren ja, aber nicht fürchten. Feuer war ein Werkzeug, er hatte oftmals Gebrauch davon gemacht; um Feinde auszuräuchern, sie einzuäschern in ihren Betten.
Als die Flamme jetzt das Benzin fand und Feuer explosionsartig in die Luft loderte, trat er zurück von dem Wagen. Ein Hitzeschwall rollte auf ihn zu, und er roch, wie sich die Behaarung auf seiner Vorderseite versengt kräuselte, aber er war zu sehr in Bann geschlagen von dem Schauspiel, um nicht hinzuschauen.
Das Feuer folgte dem Blut des Biests, verzehrte dabei Gissing und leckte die Benzinbäche entlang wie ein Spürhund an einer Pißspur. Rohkopf sah zu und lernte eine neue tödliche Lektion.
Im Chaos seines Arbeitszimmers kämpfte Coot erfolglos gegen den Schlaf an. Er hatte den Abend überwiegend am Altar verbracht, zum Teil im Beisein von Declan. Heute nacht würde er nicht mehr zum Beten kommen, bloß zum Skizzieren. Jetzt hatte er auf seinem Schreibtisch eine Wiedergabe der Altarschnitzerei vor sich, und eine ganze Stunde hatte er nichts anderes getan, als sie anzustarren. Die Übung hatte nichts gefruchtet. Entweder war die Schnitzerei zu vieldeutig, oder seine Einbildungskraft reichte nicht aus. Wie auch immer, jedenfalls wurde er beim besten Willen kaum schlau aus dem Bild. Es stellte zweifellos ein Begräbnis dar, aber das war so ziemlich alles, was er herauszukriegen imstande war. Vielleicht war der Körper ein bißchen größer als der der Trauernden, aber nichts Außergewöhnliches. Er dachte an Zeals Wirtshaus, den
»Langen Mann«, und lächelte. Konnte durchaus die Idee irgendeines Witzbolds aus dem Mittelalter gewesen sein, das Begräbnis eines Brauers unter der Altardecke zu verewigen.
In der Vorhalle schlug die defekte Uhr Viertel nach zwölf, was besagte, daß es fast eins war. Coot stand von seinem Schreib tisch auf, streckte sich und knipste die Lampe aus. Er war überrascht vom strahlenden Glanz des Mondlichts, das durch den Vorhangspalt hereinströmte. Es war ein voller Herbstmond, und das Licht war zwar kalt, aber verschwenderisch hell.
Er stellte das Schutzblech vor das Feuer und trat, die Tür hinter sich schließend, in die finstere Eingangshalle hinaus. Die Uhr tickte laut. Irgendwo weiter oben, Richtung Goudhurst, hörte erden Ton einer Rettungswagensirene.
Was ging da vor? Neugierig öffnete er die Haustür, um zu sehen, was er eben sehen konnte. Autoscheinwerfer waren auf der Anhöhe und der ferne Pulsschlag von Blaulichtern, regelmäßiger als das Ticken hinter ihm. Unfall auf der Straße nach Norden. Zu früh für überfrierende Nässe, und sicherlich auch nicht kalt genug. Er sah zu, wie die Lichter, die auf dem Hügel wie Juwelen auf einem Walrücken angeordnet waren, davonblinkten. Wenn man’s recht bedachte, war es ganz schön kühl.
Kein Wetter, um im Freien …
Er runzelte die Stirn. Irgend etwas lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich, eine Bewegung in der ändern Ecke des Kirchhofs, unter den Bäumen. Das Mondlicht verwandelte die Szene in ein Schwarzweißbild: schwarze Eiben, graue Steine, eine weiße Chrysantheme, die ihre Blütenblätter auf ein Grab verstreut.
Und schwarz im Schatten der Eiben, aber klar konturiert gegen die flache Front eines Marmorgrabmals dahinter, ein Riese.
Mit Pantoffeln an den Füßen trat Coot aus dem Haus.
Der Riese war nicht allein. Jemand kniete vor ihm, eine kleinere, menschlichere Gestalt, das Gesicht emporgereckt und voll im Licht. Es war Declan. Selbst aus einiger Entfernung konnte man erkennen, daß er zu seinem Meister auflächelte.
Coot wollte näher heran, das Schreckgespenst genauer in
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