Das 3. Buch Des Blutes - 3
Felsblöcke.
»Was habt ihr da angerichtet?« gellte er mich an. »Mein Gott, was habt ihr angerichtet! Ihnen ihre Gaben umzubringen.«
»Bloß Schafe«, sagte ich. In meinem Kopf spielte sich immer und immer wieder der Moment von Jonathans Enthauptung ab, eine Endlosschleife der Abschlachtung.
»Das verlangen sie, Menschenskind, oder sie erheben sich…«
»Wer erhebt sich?« fragte ich und wußte es. Sah, wie die Steine sich verschoben.
»Sie alle. Ohne Klage oder Trauer weggeräumt. Aber sie haben das Meer in sich, in ihrem Kopf …«
Ich wußte, wovon er redete: Es war mir plötzlich sonnenklar.
Die Toten waren hier - das wußten wir bereits - unter den Steinen. Aber sie hatten den Rhythmus des Meeres in sich, und sie wollten sich nicht hinlegen und Ruhe geben. Also wurden zu ihrer Besänftigung diese Schafe in einer Hürde festgepflockt und ihrer Willkür dargeboten.
Aßen die Toten Schaf fleisch ? Nein. Es war nicht Nahrung, was sie wollten. Es war die Geste der Anerkennung — so einfach war das.
»Ertrunkene«, sagte der Mann, »lauter Ertrunkene.«
Dann fing wieder das wohlbekannte rieselnde Gequassel an, das Steingetrommel, das ohne Vorwarnung zu einem ohrenzerspaltenden Getöse anwuchs, als würde sich der gesamte Strand verschieben.
Und über der Kakophonie noch drei weitere Geräusche: dump fes Klatschen, Gekreisch und pauschale Zerstörung.
Ich drehte mich um und sah auf der anderen Seite der Insel eine Steinwoge sich in die Luft erheben …
Wieder die fürchterlichen Schreie, einem Körper abgerungen, der gerade herumgestoßen und zerschlagen wird.
Sie waren hinter der »Emmanuelle« her. Hinter Ray. Ich lief in Richtung Boot los. Wellenartig bewegte sich der Strand unter meinen Füßen. Mir im Rücken konnte ich auf den Steinen die Stiefel des Schafefütterers hören. Während wir liefen, wurde der Lärm des Angriffs lauter. Steine tanzten wie dicke Vögel in der Luft, verdunkelten die Sonne, bevor sie herabtauchten, um nach einem ungesehenen Ziel zu schlagen. Vielleicht das Boot.
Vielleicht gleich blankes Fleisch …
Angelas Martergeschrei hatte aufgehört.
Dem Schafefütterer um wenige Schritte voraus, umrundete ich die Schmalseite der Insel, und die »Emmanuelle« kam in Sicht.
Für sie und ihren menschlichen Inhalt bestand keine Hoffnung mehr. Das Schiff wurde von einem endlosen Steinhagel, in allen Formen und Größen, bombardiert; sein Rumpf war zertrümmert, seine Bullaugen sowie Mast und Deck in Stücke geschmettert. Angela lag ausgestreckt auf den Überresten des Sonnendecks, ganz offensichtlich tot. Das Toben der Steinhorden war jedoch noch nicht zu Ende. Sie schlugen einen Trommelwirbel auf der noch verbliebenen Struktur des Rumpfes und droschen auf die leblose Körpermasse Angelas ein, ließen sie ruckartig auf und ab schnellen, als würde Strom durch sie geleitet.
Ray war nirgendwo zu sehen.
Ich schrie - und einen Moment lang schien sich in dem Getöse ein vorübergehendes Abflauen bemerkbar zu machen, ein kurzer Aufschub in der Attacke. Dann begann es von neuem: Welle um Welle erhoben sich Kiesel und Felsbrocken vom Strand und schleuderten sich selbst nach ihren fühllosen Zie len. Sie würden sich, so schien es, erst dann zufriedengeben, wenn die »Emmanuelle« zu Strand- und Wrackgut aufgerieben und Angelas Körper klein genug portioniert war, um einen Garnelengaumen zu bewirten.
Der Schafefütterer packte mich mit einem so vehementen Griff am Arm, daß mein Blut daran gehindert wurde, zu meiner Hand zu fließen.
»Kommen Sie schon«, sagte er. Ich hörte seine Stimme, tat aber nichts. Ich wartete darauf, daß Rays Gesicht auftauchte oder ich ihn meinen Namen rufen hörte. Aber da war nichts: nur dieses Sperrfeuer der Steine. Irgendwo lag er tot in den Ruinen des Boots, in tausend Stücke zerschmettert.
Der Schafefütterer zerrte mich jetzt, und ich folgte ihm über den Strand.
»Das Boot«, sagte er dabei. »In meinem Boot können wir weg von hier …«
Der Gedanke an Flucht schien absurd. Die Insel trug uns, hatte uns am Hals; wir waren mit jeder Faser ihre Objekte.
Aber ich ging hinter ihm her, glitschte und rutschte über die schweißigen Felsen, pflügte mich durch das Meerespflanzengewirr den Weg zurück, den wir gekommen waren.
Auf der anderen Seite der Insel war seine armselige Hoffnung auf Leben: ein auf den Strandkies heraufgezogenes Ruderboot, eine indiskutable Walnußschale von Boot.
Würden wir darin das Meer befahren wie jene drei Männer im
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