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Das 3. Buch Des Blutes - 3

Das 3. Buch Des Blutes - 3

Titel: Das 3. Buch Des Blutes - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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zählte etwas.
    Hinter ihm ein rieselndes Geratter springender Steine. Er war jetzt keine zehn Meter mehr von mir entfernt, schamlos nackt kam er auf mich zu; sein Gang war nüchtern.
    Das Steingeknatter hörte sich mit einem Mal rhythmisch an.
    Es war nicht mehr eine wahllose Abfolge von Tönen, was jetzt beim Aneinanderschlagen der Kiesel vernehmbar wurde - es war ein Beat, eine Serie sich wiederholender Klangwerte, ein tickend-pochendes Pulsieren.
    Kein Zufall: Absicht.
    Nicht aufs Geratewohl: vorsätzlich und gezielt.
    Nicht Stein: Denken. Hinter dem Stein, bei dem Stein, sich des Steins bedienend.
    Jonathan, jetzt ganz nah, war hell. Seine sonnenbeschienene Haut leuchtete fast und hob sich reliefartig gegen die Dunkelheit dahinter ab.
    Moment mal … Welche Dunkelheit ?
    Der Stein stieg in die Luft wie ein Vogel, setzte sich hinweg über die Schwerkraft. Ein kahler schwarzer Stein, entbunden von Erdenbanden. Er hatte die Größe eines Babys: eines pfeifenden Babys, und er wuchs hinter Jonathans Kopf, während er sich schimmernd näherte.
    Der Hügel hatte seine Muskeln angespannt und dabei kleine Kiesel zur See hinuntergeschüttelt - unter permanenter Kraftsteigerung seines Willens: diesen Felsblock vom Boden zu heben und ihn nach Jonathan zu schleudern.
    Es schwoll an hinter ihm, aber meine Kehle brachte keinen Ton heraus, der meinen Schrecken entsprochen hätte.
    War er taub? Wieder platzte sein Lächeln auf. Er dachte wohl, das Grauen in meinem Gesicht sei eine veräppelnde Anspielung auf seine Nacktheit. Er begreift nicht …
    Der Stein trennte ihm, von der Nasenmitte an aufwärts, die obere Kopfhälfte ab, ließ ihm den noch immer aufgerissenen Mund mit der in Blut verwurzelten Zunge, und schleuderte mir den Rest seiner Schönheit in einer Wolke aus nassem, rotem Staub entgegen. Die abgetrennte Kopfpartie klebte auf der Vorderseite des Steins und sauste, mit unbeeinträchtigtem Ausdruck, auf mich zu. Ich ging halb zu Boden, und der Brocken schrillte, zum Meer hin abdrehend, an mir vorbei.
    Kaum über dem Wasser, schien er irgendwie den Willen zu verlieren: Er stockte in der Luft, um gleich darauf in den Wellen unterzutauchen.
    Blut zu meinen Füßen. Eine Spur, die dorthin führte, wo Jonathans Körper lag, die offene Bruchstelle seines Kopfes mir zugekehrt und dem Himmel klaren Einblick in die Maschinerie gewährend.
    Ich schrie noch immer nicht, obwohl ich um meiner geistigen Unversehrtheit willen das mich erstickende Entsetzen loswerden mußte. Jemand mußte mich hören, mich halten, mich von hier wegbringen und mir alles erklären, ehe die hüpfenden Kiesel erneut ihren Rhythmus fanden. Oder schlimmer noch, ehe die Gemüter unter dem Strand, unzufrieden mit dem in Stellvertretung ausgeübten Mord, ihre Grabsteine wegwälzten und sich erhoben, um mich höchstpersönlich zu küssen.
    Aber der Schrei wollte nicht heraus.
    Zu hören war lediglich das rieselnde Gequassel von Steinen links und rechts von mir. Sie hatten vor, uns alle zu töten: Weil wir in ihr geheiligtes Territorium eingedrungen sind. Zu Tode werden wir gesteinigt, wie Ketzer.
    Dann eine Stimme.
    »Um Himmels willen …«
    Die Stimme eines Mannes; aber nicht die Rays.
    Er schien aus dem Nichts aufgetaucht zu sein: ein kleiner, gedrungener Mann, der da am Meeresrand stand. In der einen Hand einen Eimer und unter dem Arm ein Bündel grobgehäckseltes Heu. Futter für die Schafe, dachte ich, benebelt von einem Wirrwarr halb artikulierter Worte. Futter für Schafe.
    Er starrte erst mich an, dann hinunter zu Jonathans Körper, Verstörung in den alten Augen.
    »Was is’ passiert?« fragte er mit schwerem gälischem Akzent.
    »Was is’ passiert, um Gottes willen?«
    Ich schüttelte den Kopf. Er schien mir lose auf dem Hals zu sitzen, beinah so, als könnte er mir herunterfallen beim Schütteln. Vielleicht deutete ich auf die Schafhürde, vielleicht nicht.
    Egal weshalb, jedenfalls schien er zu wissen, was ich dachte, und stieg den Hügel zum Scheitelpunkt der Insel hinauf.
    Unterm Gehen ließ er Bündel und Eimer fallen.
    Halbblind vor Verwirrung, folgte ich ihm, aber ehe ich die Felsblöcke erreicht hatte, war er schon wieder aus dem Schatten herausgetreten. Sein Gesicht leuchtete mit einem Male von panischem Grausen.
    »Wer war das?«
    »Jonathan«, antwortete ich. Vage deutete ich mit einer Hand Richtung Leichnam, hatte nicht den Mut, mich nach ihm umzusehen. Der Mann fluchte auf gälisch und näherte sich mir aus dem Schutz der

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