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Das 3. Buch Des Blutes - 3

Das 3. Buch Des Blutes - 3

Titel: Das 3. Buch Des Blutes - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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erpicht, daß er nur ja bei ihrem Unfug mitmacht.
    Das Kratzen hatte aufgehört. Rays Körper war völlig verschwunden. Kein Muckser in der urtümlich unberührten See, nur das Platschen der Wellen gegen die Bootsplanken.
    Ich legte mich in die Riemen.
    »Rudern!« kreischte ich den Schafefütterer an. »Rudern, sonst bringen sie uns um.«
    Welche Bestrafung sie sich auch für uns ausgedacht hatten, er jedenfalls schien sich damit abgefunden zu haben. Er schüttelte den Kopf und spuckte auf das Wasser. Unter seinem auf der Oberfläche treibenden Auswurf bewegte sich etwas in der Tiefe, bleiche Gestalten wälzten sich und schlugen Purzelbäume, zu weit unten, um deutlich erkennbar zu sein. Und da kamen sie auch schon zu uns heraufgeschwebt, ihre meerzersetzten Gesichter zeichneten sich mit jedem nach oben zurückgelegten Faden schärfer ab, und ihre Arme hatten sie ausgestreckt, uns zu umfangen.
    Ein Leichenschwarm. Die Toten zu Dutzenden, krabbensauber und fischbenagt, das übriggebliebene Fleisch nur noch ganz lose an den Knochen haftend.
    Das Boot schaukelte sanft, als ihre Hände heraufgriffen, um es zu berühren.
    Nicht einen Augenblick wich der resignierte Ausdruck aus dem Gesicht des Schafefütterers, während das Boot hin und her geschüttelt wurde; sacht zuerst, dann so heftig, daß wir wie Puppen herumgeschlagen wurden. Sie wollten uns zum Kentern bringen, und es war nichts dagegen zu machen. Einen Moment später kippte das Boot um.
    Das Wasser war eisig; viel kälter, als ich erwartet hatte, und es nahm einem den Atem. Ich war immer eine ziemlich gute Schwimmerin gewesen. Mit zuversichtlichen Zügen begann ich, das schäumende Wasser zerteilend, von dem Boot wegzuschwimmen. Der Schafefütterer hatte weniger Glück. Offenbar konnte er wie viele Menschen, die vom und mit dem Meer leben, nicht schwimmen. Ohne einen Schrei oder ein Gebet auf den Lippen versank er wie ein Stein.
    Was hoffte ich? Daß vier genug waren, daß ich ruhig übrigbleiben durfte, um per Anhalter mit einer Strömung in Sicherheit zu gelangen? Welche Hoffnung auf ein Entkommen ich auch hatte, sie war jedenfalls kurzlebig.
    An meinen Fesseln und Füßen spürte ich ein sanftes, ach so überaus sanftes Streifen, beinahe ein Liebkosen. Etwas kam nah bei meinem Kopf kurz an die Oberfläche. Flüchtig erblickte ich einen grauen Rücken - wie von einem großen Fisch. Die Berührung an meinem Fußgelenk war zu einem zupackenden Griff geworden. Eine schwammige Hand, breiig zerfallen von so langem Aufenthalt im Wasser, hielt mich gepackt und begann, mich unerbittlich heimzuholen für die See. Ich schluckte meinen, wie ich wohl wußte, letzten Atemzug voll Luft hinunter, und während ich dies tat, schnellte Rays Kopf einen knappen Meter von mir entfernt hoch. Ich sah seine Wunden klinisch genau. Die wassergereinigten Schnitte waren widerwärtige Lappen weißen Gewebes mit einem Knochenschimmer an ihrer Wurzel. Das lose Auge war mittlerweile fortgespült worden, sein Haar, flach an seinen Schädel geklebt, verbarg die kahle Stelle an seinem Wirbel nicht mehr.
    Das Wasser schloß sich über meinem Kopf. Ich hatte die Augen offen und sah, wie mein schwerverdienter Atem in effekthascherischen Silberblasen an meinem Gesicht vorbeiflitzte. Ray war neben mir, tröstend, aufmerksam. Seine Arme trieben wie in einer Geste der Unterwerfung über seinem Kopf. Der Wasserdruck verzerrte sein Gesicht, blies ihm die Wangen auf und schleuderte Fäden abgetrennter Nerven aus seiner leeren Augenhöhle wie die Tentakel eines winzigen Tintenfisches.
    Ich ließ es geschehen. Ich öffnete den Mund und fühlte, wie er sich mit kaltem Wasser füllte. Salz ätzte meine Nebenhöhlen, die Kälte stach hinter meinen Augen. Ich spürte, wie mir die Lake den Schlund hinunterbrannte. Übereifriges Wasser stürmte vorwärts in nicht für Wasser gedachte Bereiche und scheuchte Luft aus meinen Tuben und Höhlen, bis mein Organismus überwältigt war.
    Unter mir umklammerten zwei Leichen - lose wiegte ihr Haar sich in der Strömung - zärtlich meine Beine. Ihre Köpfe schlenkerten und schwoiten an verwesten Strängen aus Hals muskulatur, und obwohl ich strampelnd nach ihren Händen trat und ihr Fleisch in grauen, spitzengesäumten Stücken vom Knochen abging, blieb ihr liebevoller Zugriff unbeirrbar fest.
    Sie wollten mich haben, ach, wie heiß und innig wollten sie mich haben.
    Auch Ray hielt mich, hüllte mich ein, drückte sein Gesicht auf meines. Einen Zweck hatte die Geste

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