Das 3. Buch Des Blutes - 3
keinen, nehme ich an.
Weder wußte, fühlte und liebte er, noch sorgte er sich. Und ich, die ich mein Leben Sekunde um Sekunde verlor und uneingeschränkt der See erlag, ich konnte an der Vertraulichkeit, nach der ich mich gesehnt hatte, kein Vergnügen finden.
Zu spät für Liebe; das Sonnenlicht war schon Erinnerung. Lag es daran, daß die Welt verlöschte, bis hin zu ihren Rändern sich verdunkelte bei meinem Sterben, oder daran, daß die Sonne in die jetzt von uns erreichte Tiefe nicht mehr vorzudringen vermochte? Panik und Entsetzen waren von mir gewichen.
Mein Herz schien überhaupt nicht zu schlagen, mein Atem kam und ging nicht mehr in angstverstörten Stößen wie noch kurz zuvor. Eine Art Frieden war eingekehrt in mir.
Jetzt lockerte sich der Griff meiner Gefährten, und die sanfte Flut traktierte mich ganz nach ihrem Willen: eine Vergewaltigung des Körpers, ein Verheeren von Haut und Muskel, Darm, Auge, Nebenhöhle, Zunge, Hirn.
Für Zeit war hier kein Platz. Schon möglich, daß die Tage in Wochen übergingen. Ich konnte es nicht wissen. Bootskiele glitten über die Wasserkuppel, und möglicherweise schauten wir gelegentlich von unseren elenden Felslöchern hinauf und sahen ihnen beim Vorbeiziehen zu. Ein beringter Finger zog seine Spur im Wasser, eine nichtplatschende Pfütze zerteilte den Himmel, eine Angelschnur zog einen Wurm hinter sich her. Zeichen von Leben.
Vielleicht schnieft mich die Strömung in ebenjener Stunde, in der ich starb, vielleicht auch ein Jahr später, aus meinem Felsen und läßt etwas Gnade walten. Ich werde aus meiner Seeanemo nenumgebung ruckweise herausgezupft und den Gezeiten übergeben. Ray ist bei mir. Auch seine Zeit ist gekommen. Die Verwandlung durch das Meer ist eingetreten; es gibt für uns keine Umkehr.
Unerbittlich trägt uns die Flut. Manchmal oben treibend, aufgeblähte Decks für Möwen, manchmal halb versunken und von Fischen angefressen, trägt sie uns hin zu der Insel. Wir kennen das Aufwallen im Kiesstrand und hören, ohne Ohren, das rieselnde Geprassel der Steine.
Längst hat die See die Reste von dem Teller sauber abgewaschen. Angela, die »Emmanuelle« und Jonathan sind verschwunden. Nur wir Ertrunkenen gehören hierher: mit dem Gesicht nach oben, unter den Steinen, beschwichtigt vom Rhythmus winziger Wellen und der unsinnigen Verständnis losigkeit von Schafen.
Manche Gewerbe betreibt man am besten bei Tageslicht, manche bei Nacht. Gavin war ein Profi in der letzteren Kategorie.
Im tiefsten Winter, im tiefsten Sommer, an eine Wand gelehnt oder lässig bereitgestellt in einem Hauseingang, die Lippen umschwebt vom Glühwürmchen einer Zigarette, verkaufte er an jeden x-beliebigen, was in seinen Jeans schwitzte.
Manchmal an verwitwete, mehr betuchte als verliebte Besucherinnen, die ihn dann für ein Wochenende verbotener Zusammenkünfte mieteten, ein Wochenende säuerlicher, verbis sener Küsse und vielleicht, wenn sie ihre toten Partner verges sen konnten, für einen trockenen Schieber auf einem lavendelparfümierten Bett. Manchmal an desperate, nach ihrem eigenen Geschlecht gierende Ehemänner, die es dringend nötig hatten, sich eine Stunde lang mit einem Jungen zu paaren, der nicht nach ihrem Namen fragen würde.
Gavin war es mehr oder minder egal, wozu man ihn wollte.
Gleichgültigkeit war ein Markenzeichen von ihm, ja ein Bestandteil seiner Anziehungskraft. Und sie machte, wenn die Tat getan und das Geld kassiert war, das Fortgehen von ihm um vieles leichter. Sich mit »tschau« oder »bis bald« oder überhaupt nicht von einem Gesicht zu verabschieden, dem es ziemlich egal war, ob man lebte oder starb, das fiel wirklich nicht schwer.
Und Gavin fand den Beruf nicht so unangenehm, wie es viele Berufe nun mal sind. Jede vierte Nacht bot er ihm sogar einen Funken körperlicher Lust. Schlimmstenfalls war er ein sexuelles Schlachthaus, nichts als dampfende Haut und leblose Augen. Aber daran hatte er sich im Lauf der Jahre gewöhnt.
Es brachte alles Kohle. Es hielt ihn gut in Schuß.
Tagsüber schlief er meistens, g rub sich eine warme Höhle im Bett, machte sich in seinen Laken zur Mumie, den Kopf in ein Armgeschling vergraben, um das Licht auszuschließen. Gegen drei etwa stand er normalerweise auf, rasierte sich und duschte, verbrachte dann eine halbe Stunde vor dem Spiegel und begutachtete sich. Er war pedantisch in seiner Selbstkritik, ließ nie zu, daß sein Gewicht um mehr als ein, zwei Pfund nach unten oder oben von seinem
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