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Das 3. Buch Des Blutes - 3

Das 3. Buch Des Blutes - 3

Titel: Das 3. Buch Des Blutes - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Bewußtseins, ganz, ganz hinten, rief sich Gavin still in Erinnerung, daß ihm die anderen Typen anfangs auch nicht schlimm vorgekommen waren. Ach, zum Teufel; er räumte die Zweifel beiseite. Wenn er anfinge, bei jedem neuen Gesicht, auf das er sich einließ, gleich das große Zittern zu kriegen, könnte er bald völlig mit der Arbeit aufhören. Letztlich mußte er sich doch prinzipiell auf das Glück und seinen Instinkt verlassen, und sein Instinkt sagte ihm, daß dieser Freier nicht zu Wutanfällen neigte.
    Schnell kippte er den restlichen Wodka hinunter, schenkte sich nach und wartete.
    Der Lärm hatte gänzlich aufgehört, und es wurde zunehmend leichter, die Fakten neu zu ordnen. Womöglich war es doch ein Nachbar im oberen Stock gewesen. Auf alle Fälle ließ kein Laut darauf schließen, daß Reynolds sich in der Wohnung herumbewegte.
    Auf der Suche nach irgendeinem Zeitvertreib wanderte seine Aufmerksamkeit im Zimmer umher und kehrte zu dem Grabstein an der Wand zurück.
    Flavius, der Standartenträger.
    Hatte etwas Befriedigendes, die Vorstellung: ein in Stein gemeißeltes Ebenbild von dir selber zu haben, egal wie grob, aufgestellt über dem Fleck, wo deine Knochen liegen, selbst wenn irgendein Historiker zu gegebener Zeit Knochen und Stein voneinander trennen würde. Gavins Vater hatte darauf bestanden, nicht eingeäschert, sondern begraben zu werden.
    Wie sollte man sich sonst an ihn erinnern? Das war seine Rede.
    Eine Urne in einer Wand, wer ginge jemals hin, um davor zu weinen? Die Ironie bestand darin, daß auch zu seinem Grab nie jemand ging. Gavin war in all den Jahren seit dem Tod seines Vaters vielleicht zweimal dort gewesen. Ein schmuckloser Stein, mit einem Namen, einem Datum und einer Platitüde drauf. Er erinnerte sich nicht einmal, in welchem Jahr sein Vater gestorben war.
    An Flavius hingegen erinnerte man sich. Menschen, die ihn oder ein Leben wie seines nie gekannt hatten, kannten ihn heutzutage. Gavin stand auf und berührte den Namen des Standartenträgers, das roh herausgehauene FLAVIVS, das das zweite Wort der Inschrift war.
    Plötzlich wieder der Lärm, rasender denn je. Gavin wandte sich von dem Grabstein weg und schaute zur Tür, m der vagen Erwartung, daß Reynolds dort stünde, ein erklärendes Wort auf den Lippen. Niemand erschien.
    »Verdammter Mist.«
    Der Lärm dauerte an, ein Trommelwirbel. Irgendwo war irgend jemand sehr aufgebracht. Und diesmal war eine Selbsttäuschung ausgeschlossen: Der Trommler war hier, auf dieser Etage, wenige Meter entfernt. Neugier knabberte an Gavin, ein verführerischer Lover. Er leerte sein Glas und ging auf den Flur hinaus. Der Lärm hörte auf, als er die Tür hinter sich schloß.
    »Ken?« wagte er zu äußern. Das Wort schien ihm auf den Lippen zu ersterben.
    Der Flur lag in Finsternis, bis auf einen spärlichen Lichtstrahl vom anderen Ende. Vielleicht eine offene Tür. Gavin fand rechts von sich einen Schalter, aber der funktionierte nicht.
    »Ken?« sagte er nochmals.
    Diesmal überschnitt sich die Anfrage mit einer Antwort. Ein Stöhnen und das Geräusch eines sich herumwälzenden oder soeben herumgewälzten Körpers. War Reynolds etwas zugestoßen ? Jesus, er konnte auf Spuckdistanz von Gavins Standort entfernt halb ohnmächtig herumliegen. Er mußte ihm helfen.
    Warum bewegten sich seine Füße so widerwillig? Er hatte dieses Kribbeln in den Eiern, das sich bei ihm mit jeder nervösen Erwartung einstellte. Es erinnerte ihn an das Versteckspielen in der Kindheit, den erregenden Kitzel der Jagd. Es machte beinah Spaß.
    Und vom Spaß einmal abgesehen - konnte er jetzt wirklich abziehen, ohne zu wissen, was aus dem Freier geworden war?
    Er mußte den Korridor entlanggehen.
    Die erste Tür war angelehnt. Er stieß sie auf. Das Zimmer dahinter war ein mit Büchern eingerahmtes Studier- und Schlafzimmer. Durch das vorhanglose Fenster fiel der Schein der Straßenbeleuchtung auf einen unaufgeräumten Schreibtisch. Kein Reynolds, kein Schläger. Nachdem der erste Schritt einmal gemacht war, setzte Gavin jetzt mit größerer Zuversicht seine Erkundung den Flur entlang fort. Die nächste Türzur Küche - war ebenfalls offen. Von drinnen kam kein Licht.
    Gavins Hände hatten zu schwitzen angefangen. Er sah Reynolds vor sich, wie er versuchte, die Handschuhe auszuziehen, als ob sie ihm an den Handflächen festgeklebt wären. Wovor hatte er Angst gehabt ? Der Aufriß allein konnte es nicht sein es war noch jemand in der Wohnung, jemand mit einer

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