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Das 4. Buch des Blutes - 4

Das 4. Buch des Blutes - 4

Titel: Das 4. Buch des Blutes - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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sagte er, während sie ihm, verblendet von ihrer Begeisterung, den Körper von Kopf bis Fuß einmummten, kommt ruhig mit, wohin ich auch gehe.
    Wie klingt es wohl…? Der Satz lag ihm auf der Zunge.
    O ja: jetzt fiel er ihm wieder ein. Wie klingt es wohl, das Klatschen von nur einer Hand? Mann, tat das gut, sich an etwas zu erinnern, das man mit solcher Verbissenheit dem eigenen Unterbewußtsein zu entreißen versuchte – wie wenn man einen längst verloren geglaubten Talisman wiederfindet.
    Der Kitzel des Erinnerns versüßte ihm die letzten Augenblicke.
    Er stürzte sich kopfüber ins Leere, überschlug sich einmal, zweimal, bis mit Zahnhygiene und der Schönheit junger Frauen urplötzlich Schluß war. In einem Regen kamen sie hinter ihm her und zerschellten auf dem Beton um seinen Körper, eine Welle nach der anderen, warfen sich, ihrem Messias nachjagend, ihrem Tod entgegen.
    Für die Patienten und Schwestern an den gerammelt vollen Fenstern war es eine Szene aus einer Wunderwelt; ein Froschregen hätte daneben alltäglich gewirkt. Es löste mehr Ehrfurcht als Entsetzen aus. Es war sagenhaft. Allzubald hörte es auf, und nach ungefähr einer Minute wagten sich ein paar kühne Seelen in den verstreuten Wust hinaus, um zu sehen, was es zu sehen gab. Eine ganze Menge natürlich; und doch nichts. Zwar war es ein ungewöhnliches Schaustück, grauenhaft, unvergeßlich. Aber ein tieferer Sinn ließ sich nicht darin entdecken, lediglich die Utensilien einer kleineren Apokalypse. Es blieb nichts weiter übrig, als das Ganze wegzuräumen; die eigenen Hände waren ihnen nur zögernd zu Willen, während sie die Leichen sortierten und zur weiteren Untersuchung in Schachteln packten. Ein paar der mit der Operation Befaßten fanden einen ungestörten Moment lang Gelegenheit zum Beten; um Erklärungen, oder zumindest um traumlosen Schlaf. Selbst das Häufchen Agnostiker unter dem Krankenhauspersonal war überrascht zu entdecken, wie leicht es fiel, Handfläche an Handfläche zu legen.
    In seinem Einbettzimmer auf der Intensivstation kam Boswell zu sich. Er langte nach der Klingel neben seinem Bett und drückte sie, aber niemand reagierte. Jemand war bei ihm im Zimmer und versteckte sich hinter dem Schutzschirm in der Ecke. Boswell hatte das Schlurfen der Füße des Eindringlings gehört.
    Er drückte nochmals die Klingel, aber überall im Gebäude läuteten zur Zeit Klingeln, und niemand schien auf irgendeine von ihnen zu reagieren. Die Konsole neben sich zur Abstützung benutzend, hievte er sich zum Bettrand, um diesen Heini besser in den Blick zu bekommen.
    »Komm da raus«, murmelte er durch trockene Lippen. Aber der Dreckskerl wartete den richtigen Moment ab. »Komm schon… Ich weiß, daß du da bist.«
    Er zog sich ein bißchen weiter, und irgendwie wurde ihm mit einem Mal klar, daß sich sein Gleichgewichtszentrum radikal verschoben hatte, daß er keine Beine hatte, daß er gerade dabei war, aus dem Bett zu fallen. Er schleuderte die Arme vor, um seinen Kopf vor dem Aufschlagen auf dem Boden zu schützen, und hatte Erfolg damit. Allerdings blieb ihm zugleich völlig der Atem weg. Benommen lag er, wohin er gefallen war, und versuchte, sich zu orientieren. Was war geschehen? Wo waren seine Beine, um Jahwes willen, wo waren seine Beine?
    Seine blutunterlaufenen Augen musterten den Raum und ruhten zu guter Letzt auf den nackten Füßen, die jetzt einen Meter vor seiner Nase waren. Ein Schildchen um die Fessel bestimmte sie für den Ofen. Er schaute nach oben, und es waren seine Beine, die da standen, abgetrennt zwischen Leistengegend und Knie, aber noch wohlauf und kicklebendig.
    Einen Moment lang glaubte er, sie hätten vor, ihm was anzutun
    – aber nein. Nachdem sie ihm ihre Gegenwart bekanntgemacht hatten, ließen sie ihn, wo er lag, zufrieden damit, frei zu sein.
    Und beneiden meine Augen sie um ihre Freiheit, fragte er sich, und brennt meine Zunge darauf, aus meinem Mund hinaus- und von mir wegzukommen, und bereitet sich jeder Teil von mir, auf entsprechend raffinierte Art, darauf vor, mich im Stich zu lassen? Er war eine nur durch den denkbar schwächsten Waffenstillstand zusammengehaltene Allianz.
    Und jetzt, angesichts des geschaffenen Präzedenzfalls – wie lang noch bis zum nächsten Aufstand? Minuten? Jahre?
    Er wartete, und das Herz klopfte ihm dabei bis zum Hals, auf den Fall des Imperiums.

    Das nicht-menschliche Stadium
    »Also, du bist der?« wollte Red wissen und packte den Penner an der Schulter seines

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