Das 4. Buch des Blutes - 4
manchmal verdammt einsam, weißt du. Bin sicher, du verstehst das. Und wenn ich einsam bin, flücht’ ich mich ins Trinken.«
Obwohl offenbar bloß Sekunden vergangen waren, seit Karney seine Zigarette angezündet hatte, war sie bis zum Filter heruntergebrannt, ohne daß er einen einzigen Zug gemacht hätte. Er ließ sie fallen, wurde sich vage bewußt, daß in der winzigen Passage sowohl die Zeit wie auch der Raum aus den Fugen gerieten.
»Ich war’s nicht«, murmelte er. Die Rechtfertigung eines Kindes angesichts jedweder Beschuldigung.
»Doch«, antwortete Pope mit unbestreitbarer Autorität. »Den Atem für die Lügen kann’ wir uns sparen. Du hast mich bestohlen, und dein Kollege hat dafür bezahlt. Den Schaden, den du angerichtet hast, kannst du nicht rückgängig machen.
Aber du kannst weiteren Schaden verhindern, wenn du mir wiedergibst, was mir gehört, jetzt .«
Karneys Hand hatte sich zu seiner Tasche verirrt, ohne daß er es richtig mitbekam. Er wollte aus dieser Falle heraus, ehe sie zuschnappte; wenn er Pope gab, was ihm schließlich von Rechts wegen gehörte , war das sicher der einfachste Weg.
Seine Finger jedoch zögerten. Wieso? Vielleicht weil der Blick des Methusalem so unversöhnlich war; weil Pope, sobald er die Knoten wieder in Händen hielte, totale Kontrolle über die Waffe bekäme, die Catso im Endeffekt getötet hatte? Aber mehr noch: Selbst jetzt, da seine geistige Gesundheit auf dem Spiel stand, hatte Karney nicht die geringste Lust, das einzige Fragment des Geheimnisvollen, das ihm je untergekommen war, zurückzugeben. Pope, der seinen Widerwillen spürte, legte beim Beschwatzen einen Zahn zu.
»Brauchst keine Angst vor mir zu haben«, sagte er. »Ich tu’
dir nichts, außer du zwingst mich dazu. Mir wär’ es wesentlich lieber, wenn wir die Angelegenheit friedlich beilegen könnten; noch mehr Gewalt oder gar ein weiterer Tod würd’ nur Aufsehen erregen.«
Soll das da vor mir ein Killer sein? dachte Karney. So zerzaust, so lächerlich klapprig. Und doch strafte der Ton den Anblick Lügen. Der Keim des Gebieterischen, den Karney damals aus Popes Stimme herausgehört hatte, stand jetzt in voller Blüte.
»Willst du Geld?« fragte Pope. »Ist es das? Ließe sich dein Stolz wohl beschwichtigen, wenn ich dir etwas für deine Unannehmlichkeiten offeriere?« Ungläubig musterte Karney Popes schäbiges Äußeres. »Oh«, sagte der Alte, »womöglich sehe ich nicht aus wie ein wohlhabender Mann, aber der Schein kann trügen. Genaugenommen ist das die Regel, nicht die Ausnahme. Nimm dich, zum Beispiel. Du siehst nicht aus wie ein Toter, aber verlaß dich drauf, du bist so gut wie tot, Junge.
Den Tod garantier’ ich dir, wenn du dich mir weiter widersetzt.«
Karney war verblüfft. Da kam doch diesem Pope eine solche Rede – so wohlüberlegt, so gezielt – über die Lippen; womit sich die These des Alten bestätigte. Vor vierzehn Tagen hatten sie den Mann, verwirrt und verwundbar, im Suff erwischt, aber jetzt, im nüchternen Zustand, sprach der Mann wie ein Herrscher – ein irrsinniger König vielleicht, der unterm Pöbel als Armer wandelte. König? Nein, eher ein Priester . Etwas an der Art seiner Autorität (ja, an seinem Namen) ließ an einen Mann denken, dessen Macht nie und nimmer im rein Politischen
»Noch einmal«, sagte er, »ich fordere dich auf, mir zu geben, was mir gehört.«
Er machte einen Schritt auf Karney zu. Die Gasse war ein Tunnel, der auf ihre Köpfe herabdrückte. Falls ein Himmel über ihnen war, hatte Pope ihn verdüstert.
»Gib mir die Knoten«, sagte er. Seine Stimme war sanft beruhigend. Die Dunkelheit umschloß jetzt alles. Karney konnte lediglich den Mund des Mannes sehen, seine unregelmäßigen Zähne, seine graue Zunge. »Gib sie mir, du Dieb, oder trag die Folgen.«
»Karney?«
Reds Stimme kam aus einer anderen Welt. Nur wenige Schritte entfernt – die Stimme, Sonnenschein, Wind –, aber einen langen Augenblick mühte Karney sich ab, ehe er sie wieder lokalisiert hatte.
»Karney?«
Er zerrte sein Bewußtsein zwischen Popes Zähnen heraus und zwang sich, das Gesicht zur Straße umzudrehen. Dort sah er Red in der Sonne stehen, Anelisa neben ihm. Ihr blondes Haar glänzte.
»Was is ’n hier los?«
»Laßt uns in Ruhe«, sagte Pope. »Wir haben was zu regeln, er und ich.«
»Mit dem hast du was zu regeln?« wollte Red von Karney wissen.
Ehe Karney antworten konnte, sagte Pope: »Na los, Karney.
Mach ihm klar, daß du mit mir allein
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