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Das 4. Buch des Blutes - 4

Das 4. Buch des Blutes - 4

Titel: Das 4. Buch des Blutes - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Vegetation. Karney wollte schon ein zweites Mal fragen, was sie sei, als ihm klar wurde, daß dieses Ausatmen die Antwort der Bestie war . Alles was sie über ihre Beschaffenheit zu äußern vermochte, war in diesem bitteren und widerwärtigen Hauch enthalten. Wie das Antworten so an sich haben, fehlte es ihm nicht an Beredsamkeit. Tief beunruhigt von den dadurch wachgerufenen Bildern, wich Karney von der Stelle zurück. Verwundete, fließende Formen, von morastigem Unrat umschlossen, bewegten sich auf seinem Augenhintergrund.
    Ein, zwei Meter von dem Baum entfernt brach der Bann des Atems, und Karney trank die verschmutzte Straßenluft, als wäre sie so rein wie der Schöpfungsmorgen. Er kehrte den Qualen, die sich seinen Sinnen mitgeteilt hatten, den Rücken, steckte seine schnurverstrickte Hand in die Tasche und begann, den Pfad hinaufzusteigen. Hinter ihm waren die Bäume wieder völlig regungslos.

    Mehrere Dutzend Zuschauer hatten sich auf der Brücke versammelt, um den Vorgängen auf der Straße darunter zuzusehen. Ihre Anwesenheit hatte wiederum die Neugier der Fahrer gereizt, die auf der Hornsey Lane unterwegs waren; einige von ihnen hatten ihre Fahrzeuge geparkt und waren ausgestiegen, um sich zu der Menge zu gesellen. Die Szene unter der Brücke schien zu abgelegen, um in Karney irgendwelche Gefühle wachzurufen. Er stand mitten in dem schnatternden Gedränge und blickte ganz unbeteiligt hinunter.
    Er erkannte Catsos Leiche an seiner Kleidung, sonst war wenig von seinem einstigen Gefährten übrig.
    In absehbarer Zeit würde er bestimmt trauern, das wußte er.
    Aber momentan konnte er nichts empfinden. Schließlich war Catso doch tot, oder? Sein Schmerz und seine Verstörung vorbei. Intuitiv fand Karney es vernünftiger, wenn er sich seine Tränen für jene aufsparte, deren Höllenqualen eben erst begannen.
    Und wieder die Knoten.
    In derselben Nacht, zu Hause, versuchte er dann, sie wegzulegen, aber die Ereignisse des Abends hatten ihnen neuen Zauber verliehen. Die Knoten fesselten Bestien . Wie und weshalb, wußte er nicht zu sagen; merkwürdigerweise interessierte ihn das im Augenblick auch nicht besonders. Seit er denken konnte, nahm er es als gegeben hin, daß die Welt eine Fülle von Geheimnissen barg, die zu begreifen ein Verstand von seiner begrenzten Auffassungsgabe sich nicht erhoffen durfte. Das war die einzige echte Lektion, die ihm seine Schulzeit erteilt hatte: daß er von nichts eine Ahnung hatte. Diese neue Unwägbarkeit war bloß der vorläufig letzte Posten auf einer langen Liste.
    Nur eine vernunftmäßige Erklärung kam ihm in den Sinn: Pope hatte den Diebstahl der Knoten arrangiert, im vollen Bewußtsein, daß die losgebundene Bestie sich an seinen Peinigern rächen würde; und erst sechs Tage später, bei Catsos Einäscherung, sollte Karney eine gewisse Bestätigung dieser Theorie bekommen. In der Zwischenzeit behielt er seine Befürchtungen für sich. Er war zu dem Schluß gekommen, die Ereignisse der Nacht könnten ihm um so weniger anhaben, je weniger er davon erzählte. Reden verlieh dem Phantastischen Glaubwürdigkeit: Es bauschte Phänomene unnötig auf, die, wenn man sie auf sich beruhen ließ, zu schwach werden würden, um zu überdauern – so hoffte er.
    Als ihn am nächsten Tag die Polizei im Rahmen einer Routinebefragung von Catsos Freunden zu Hause aufsuchte, behauptete er, nichts von den Begleitumständen des Todes zu wissen. Brendan hatte sich genauso verhalten, und da es anscheinend keine Zeugen gab, die Gegenteiliges hätten aussagen können, wurde Karney nicht wieder verhört Statt dessen überließ man ihn seinen Gedanken; und den Knoten.
    Einmal traf er sich mit Brendan. Er hatte Anschuldigungen erwartet. Brendan war der Meinung, daß Catso auf der Flucht vor der Polizei den Tod gefunden habe, und daß Karneys mangelnde Konzentration der Grund gewesen sei, warum er sie vor der unmittelbaren Nähe der Bullen nicht gewarnt hatte.
    Aber Brendan machte ihm keine Vorwürfe. Er hatte die Last der Schuld mit einer Bereitwilligkeit auf sich genommen, die schon nach Lust roch; er redete nur noch von seinem eigenen Versagen, nicht von Karneys. Die augenscheinliche Willkür von Catsos Ableben hatte bei Brendan eine unvermutete Zartheit freigelegt, und Karney brannte darauf, ihm die ganze unglaubliche Geschichte von A bis Z zu erzählen. Aber er spürte, dies war nicht der richtige Zeitpunkt. Er ließ Brendan sich den Schmerz von der Seele reden und hielt den Mund.
    Und immer

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