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Das 4. Buch des Blutes - 4

Das 4. Buch des Blutes - 4

Titel: Das 4. Buch des Blutes - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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reden willst.«
    Red warf über Karneys Schulter einen flüchtigen Blick auf den Alten. »Willst mir nicht sagen, was los ist?« fragte Karneys Zunge strengte sich an, eine Antwort zu finden, aber vergeblich. Der Sonnenschein war so weit weg; jedesmal, wenn ein Wolkenschatten über die Straße hinglitt, befürchtete er, das Licht werde für immer ausgelöscht. Lautlos versuchten seine Lippen, seine Angst zu artikulieren.
    »Bist du okay?« fragte Red. » Karney ! Kannst du mich hören?«
    Karney nickte. Die Finsternis, die ihn umfing, begann sich zu heben.
    »Ja…« sagte er.
    Unvermittelt warf sich Pope auf Karney, seine Hände fingerten verzweifelt nach dessen Taschen. Der Aufprall des Angriffs verfrachtete den immer noch erstarrten Karney rückwärts gegen die Gassenmauer. Er fiel seitlich, gegen einen Stapel Lattenkisten. Sie – und er – kippten um, und Pope, der Karney zu grimmig gepackt hielt, um sich von ihm zu lösen, stürzte gleichfalls. Die vorangegangene Gelassenheit – der Galgenhumor, die umsichtigen Drohungen – hatte sich restlos verflüchtigt; er war wieder der idiotische, Verrücktheiten speiende Penner. Karney spürte, wie die Hände des Mannes an seiner Kleidung rissen und ihm auf der hektischen Suche nach den Knoten über die Haut harkten. Die Worte, die er Karney ins Gesicht brüllte, ergaben keinerlei Sinn mehr.
    Red betrat die Gasse und versuchte, den Alten an Mantel, Haar oder Bart, an welchem sich ihm bietenden Halt auch immer, von seinem Opfer herunterzuzerren. Das war leichter gesagt als getan; die Attacke hatte die ganze Raserei eines Anfalls. Aber Reds überlegene Körperkraft setzte sich durch.
    Unsinnigkeiten spuckend, wurde Pope wieder auf die Beine gehievt. Red hielt ihn fest wie einen tollwütigen Hund.
    »Steh auf«, sagte er Karney, »schau, daß du aus seiner Reichweite kommst.«
    Karney rappelte sich aus dem Kleinholz der Lattenkisten hoch. In seiner nur wenige Sekunden dauernden Attacke hatte Pope beträchtlichen Schaden verursacht: Karney blutete an einem halben Dutzend Stellen. Seine Kleidung war arg zugerichtet, das Hemd bis zur Unbrauchbarkeit zerrissen Zögernd brachte er eine Hand an sein zerharktes Gesicht; die Kratzer waren aufgeschwollen wie rituelle Narben.
    Red stieß Pope gegen die Mauer. Der Penner sah noch immer apoplektisch aus, sein Blick war verstört. Ein Schwall Beschimpfungen – ein Kauderwelsch aus Englisch und Quatsch – wurde Red ins Gesicht geschleudert. Ohne in seiner Tirade innezuhalten, machte Pope einen neuerlichen Versuch, Karney anzugreifen, aber diesmal hielt Reds Klammergriff die Klauen von einer Berührung ab. Red schleifte Pope aus der Gasse auf die Straße.
    »Deine Lippe blutet«, sagte Anelisa und sah Karney mit unverhohlenem Ekel an. Karney konnte das Blut schmecken: salzig und heiß. Es legte seinen Handrücken an den Mund. Als er die Hand wegnahm, war sie scharlachrot.
    »Nur gut, daß wir denselben Weg hatten«, sagte sie.
    »Ja, sicher«, erwiderte er, ohne die Frau anzusehen. Es beschämte ihn, wie er sich dem Stadtstreicher gegenüber aufgeführt hatte, und er wußte, daß sie ihn wegen seiner Unfähigkeit, sich selber zu verteidigen, bestimmt insgeheim auslachte. Alle aus ihrer Familie waren Ganoven, ihr Vater ein Nationalheld unter Dieben.
    Red kam wieder von der Straße herein. Pope war abgezogen.
    »Worum isses da eigentlich gegangen?« wollte er wissen, holte dabei einen Kamm aus seiner Jackentasche und richtete seine Haartolle.
    »Um nichts«, antwortete Karney.
    »Verkauf mich nicht für blöd«, sagte Red. »Er behauptet, hast ihm was gestohlen. Stimmt das?«
    Flüchtig schaute Karney zu Anelisa hinüber. Wäre sie nicht dabei gewesen, hätte er Red möglicherweise auf der Stelle alles bereitwillig erzählt. Sie erwiderte seinen Blick und schien seine Gedanken zu lesen. Achselzuckend begab sie sich außer Hörweite, stieß beim Gehen spielerisch mit dem Fuß gegen die demolierten Lattenkisten.
    »Er hat’s auf uns alle abgesehen. Red«, sagte Karney.
    »Was soll’n das heißen?«
    Karney schaute zu seiner blutigen Hand hinunter. Anelisa war zwar aus dem Weg, aber trotzdem wollten die seinen Verdacht erläuternden Worte sich nur langsam einstellen.
    »Catso…«, fing er an.
    »Was soll mit ihm sein?«
    »Er lief vor was davon, Red.«
    Hinter ihm stieß Anelisa einen genervten Seufzer aus. Das dauerte länger, als ihre Geduld verkraftete.
    »Red«, sagte sie, »wir kommen zu spät.«
    »Wart ’ne Minute«, erwiderte

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