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Das 4. Buch des Blutes - 4

Das 4. Buch des Blutes - 4

Titel: Das 4. Buch des Blutes - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Möglichkeit auszuweichen: Der Aufprall riß Catso den Leib auf und stieß ihn unter die Räder.
    Droben im Garten hörte Karney das scharfe Bremsen und das
    »Allmächtiger Gott« des Polizisten am unteren Ende des Fußwegs. Er wartete noch ein paar Sekunden und guckte dann aus seinem Versteck hervor. Der Pfad war jetzt von oben bis unten verlassen. Die Bäume waren völlig regungslos. Von der Straße unten kam das Geräusch einer Sirene herauf sowie die Schreie der Beamten, die näherkommende Fahrzeuge anhielten. Ganz in der Nähe schluchzte jemand. Ein paar Augenblicke lang lauschte er angespannt, versuchte die Quelle der Schluchzer herauszubekommen – bis ihm klar wurde, daß sie von ihm selber stammten. Tränen hin oder her, der Tumult da unten erforderte seine Aufmerksamkeit. Etwas Schreckliches war passiert, und er mußte nachschauen, was.
    Aber er scheute davor zurück, sich der Bedrohung der Bäume auszusetzen, wohl wissend, was dort auf der Lauer lag; also blieb er stehen, wo er war, starrte in die Äste hinauf und versuchte, die Bestie ausfindig zu machen. Dort war jedoch weder Laut noch Bewegung: Die Bäume standen regungslos.
    Seine Ängste unterdrückend, kletterte er aus seinem Versteck und begann, den Fußpfad hinunterzugehen, ließ dabei aber das Laubwerk nicht aus den Augen, damit ihm auch nicht das geringste Anzeichen der Bestien-Gegenwart entginge. Er konnte das Stimmengewirr einer zusammenströmenden Menge hören. Die Vorstellung eines Menschengewühls beruhigte ihn.
    Von nun an würde er wohl ein Versteck brauchen, oder?
    Menschen, die ein Wunder geschaut haben, brauchen eins.

    Mittlerweile hatte er die Stelle erreicht, wo Catso in die Bäume hinaufgezerrt worden war: Eine Streu aus Blättern und Diebesbeute machte sie kenntlich. Karneys Füße wollten rasch weiter, ihn mitnehmen und schleunigst von dem Platz entführen, aber irgendeine perverse Regung verlangsamte seinen Schritt. Wollte er etwa den Abkömmling des Knotens dazu verleiten, ihm sein Gesicht zu zeigen? Vielleicht war es besser, sich ihm jetzt zu stellen – in all seiner Scheußlichkeit –, als von diesem Augenblick an in Angst zu leben und sich ständig sein Antlitz und seine Fähigkeiten auszumalen. Aber die Bestie hielt sich verborgen. Falls sie tatsächlich da oben im Baum war, machte sie auch nicht den kleinsten Mucks.
    Etwas bewegte sich unter seinem Fuß. Karney schaute hinunter, und dort lugte die Schnur kaum sichtbar zwischen den Blättern hervor. Catso war offenbar für unwürdig befunden worden, sie bei sich zu tragen. Nun, da ihre Macht andeutungsweise enthüllt war, gab sie sich keine Mühe mehr, normal zu wirken. Sie wand sich auf dem Schotter wie eine brünstige Schlange, bäumte ihren geknoteten Kopf auf, um Karneys Aufmerksamkeit zu erregen. Er wollte ihre Kapriolen ignorieren, aber er konnte es nicht. Er wußte, wenn er die Knoten nicht aufhöbe, würde es früher oder später jemand anderer tun, jemand, der wie er selber dem Drang unterworfen war, Rätselgebilden auf den Grund zu gehen. Würde solche Arglosigkeit nicht unweigerlich zu einer weiteren Befreiung führen, einer, die vielleicht noch schrecklicher wäre als die erste? Nein; es war am besten, wenn er die Knoten an sich nahm. Zumindest war er sich ihrer Kräfte bewußt und so, zum Teil, dagegen gewappnet. Er beugte sich hinunter, und im selben Augenblick sprang ihm die Kordel geradezu in die Hände, wickelte sich so fest um seine Finger, daß er fast aufschrie.
    »Miststück«, sagte er.
    Die Schnur rollte sich um seine Hand, schlängelte sich in einer Ekstase der Begrüßung der Länge nach durch seine Finger. Er hob seine Hand, um der Darbietung besser zusehen zu können. Seine Besorgnis wegen der Vorkommnisse auf der Archway Road hatte sich plötzlich, fast wie durch ein Wunder, verflüchtigt. Wozu diese läppischen Sorgen? Da ging’s doch nur um Leben und Tod. Besser, er machte sich aus dem Staub, solange er noch konnte.
    Über seinem Kopf schwankte ein Ast. Er riß seine Augen von den Knoten los und blinzelte in den Baum hinauf. Seit die Schnur wieder bei ihm war, hatte sich sein Gliederschlottern, samt seinen Ängsten, verflüchtigt.
    »Zeig dich«, sagte er, »ich bin nicht wie Catso, ich hab’ keine Angst. Ich will wissen, was du bist.«
    Aus ihrer Blättertarnung neigte sich die wartende Bestie zu Karney herunter und stieß einen einzigen frostigen Atemzug aus. Er roch wie die Themse bei Niedrigwasser, nach in Fäulnis übergegangener

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