Das 4. Buch des Blutes - 4
Red schroff und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Karney zu. »Was wolltest du sagen –
über Catso?«
»Der Alte ist nicht, was er zu sein scheint. Er ist kein Penner.«
»Ach nee? Und was is’ er?« Ein sarkastischer Unterton hatte sich wieder in Reds Stimme eingeschlichen, zweifellos Anelisa zuliebe. Das Mädchen war der Diskretion überdrüssig geworden; sie war zu Red zurückgeschlendert.
»Was ist er, Karney?«
Karney schüttelte den Kopf. Was brachte schon eine teilweise Erklärung dessen, was vorgefallen war? Entweder versuchte er es mit der ganzen Geschichte, oder überhaupt nicht. Schweigen war leichter. »Vergiß es«, sagte er mit Nachdruck.
Red warf ihm einen verdutzten Blick zu, sagte dann, als keine Klarstellung mehr zu erwarten war: »Wenn du mir was über Catso zu sagen hast, Karney, dann würd’ ich’s gerne hören. Du weißt, wo ich wohne.«
»Klar«, sagte Karney.
»Ich mein’s ernst«, sagte Red, »das mit dem Reden.«
»Danke.«
»Catso war ein guter Kumpel, hab’ ich recht? ’n kleiner Saufbold, aber jeder hat seine Macke oder? Er hätte nicht sterben dürfen, Karney. Das war verkehrt.«
»Red!«
»Sie ruft nach dir.«
Anelisa war auf die Straße hinausgeschlendert.
»Sie ruft ständig nach mir. Ich schau’ bei dir vorbei, Karney.«
»Ja, klar.«
Red tätschelte Karney die stechende Wange und folgte Anelisa hinaus in die Sonne. Karney machte keine Anstalten, ihnen nachzugehen. Er zitterte noch von Popes Angriff und wollte in der Gasse warten, bis er zumindest dem äußeren Anschein nach seine Fassung halbwegs wiedergewonnen hatte.
Bei den Knoten Beruhigung suchend, steckte er die Hand in seine Jackentasche. Sie war leer. Er durchwühlte seine übrigen Taschen. Auch sie waren leer, und doch war er sicher, daß es den grapschenden Händen des Alten nicht gelungen war, an die Schnur heranzukommen. Vielleicht war sie während des Kampfes aus ihrem Versteck gerutscht. Karney begann, die Gasse zu durchstöbern, und als die erste Suche erfolglos blieb, ließ er ihr eine zweite und eine dritte folgen; aber da wußte er schon, daß das Unterfangen gescheitert war. Pope hatte also doch sein Ziel Wicht. Verstohlen oder zufällig hatte er die Knoten wiedergewonnen.
Mit bestürzender Deutlichkeit erinnerte sich Karney daran, wie er auf der Selbstmörderschanze gestanden und auf die Archway Road hinuntergeschaut hatte – und an Catsos Körper, der da unten im Mittelpunkt eines Netzwerks aus Lichtern und Fahrzeugen ausgestreckt lag. Er hatte sich so weit weg gefühlt von der Tragödie, hatte sie mit der Beteiligung eines vorüberfliegenden Vogels betrachtet, jetzt- mit einem Mal –
wurde er vom Himmel heruntergeschossen. Er war auf dem Boden und verwundet, wartete voller Verzweiflung auf die bevorstehenden Schrecken. Er schmeckte Blut von seiner zerspaltenen Lippe und fragte sich – wobei er im selben Augenblick, in dem der Gedanke sich formte, wünschte, er würde wieder verschwinden –, ob Catso sofort gestorben sei, oder ob auch er Blut geschmeckt habe, während er dort auf dem Asphalt lag und zu den Leuten auf der Brücke aufschaute, die erst noch lernen mußten, wie nah der Tod war.
Er kehrte über die belebteste Strecke, die er sich ausdenken konnte, nach Hause zurück. Obwohl dies seinen anrüchigen Zustand dem Gestarr von Matronen und Polizisten gleichermaßen aussetzte, war ihm deren Mißbilligung lieber als der risikoreiche Heimweg auf den von den großen Verkehrsadern abgelegenen leeren Straßen. Sobald er zu Hause war, wusch er seine Kratzer aus und zog frische Kleider an, saß dann eine Zeitlang vor dem Fernseher, um das Schlottern seiner Glieder abklingen zu lassen. Es war später Nachmittag, und die Programme boten ausnahmslos Kinderkost: der Ton eines ekelerregenden Optimismus infizierte jeden Kanal. Er sah sich die Banalitäten mit den Augen, nicht aber mit dem Hirn an, nutzte die Frist zu dem Versuch, die Worte zur Beschreibung all dessen zu finden, was ihm passiert war. Red und Brendan zu warnen war jetzt dringend geboten. Nachdem Pope nun Gewalt über die Knoten hatte, konnte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis irgendeine Bestie – eine schlimmere vielleicht als das Wesen in den Bäumen – sie alle holte. Dann wäre es zu spät für Erklärungen. Er wußte, die beiden anderen würden ihn erachten, aber er wollte alles versuchen, sie zu überzeugen, ganz gleich wie lächerlich er am Ende dastehen würde, vielleicht bewegten seine Tränen und sein
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