Das 4. Buch des Blutes - 4
Ausdruck in ihren fahlen Augen: blanker Abscheu. Dann gab Brendan einen durchdringenden Schrei von sich, und Karney schaute in seine Richtung, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie das Ausweidemesser in die Wange glitt. Pope zog die Klinge heraus und ließ Brendans Leiche kopfüber nach vorne fallen; bevor sie den Boden berührte, war er schon unterwegs zu Karney, Mordabsicht in jedem Schritt. Die Bestie, Angst in der Kehle, gab Karneys Handgelenk frei, so daß er Popes erstem Stoß gerade noch seitlich ausweichen konnte. Bestie und Mensch trennten sich und rannten beide los. Karneys Absätze rutschten in der losen Schlacke, und einen Moment lang spürte er Popes Schatten über sich, entwischte aber der Bahn des zweiten Schnitts um Millimeterbreite.
»Du kommst hier nicht raus«, hörte er unterm Laufen Pope prahlen. Der Alte war so von seiner Falle überzeugt, daß er nicht einmal die Verfolgung aufnahm. »Du bist auf meinem Territorium, Junge. Hier kommst du nicht mehr raus.«
Karney ging zwischen zwei Fahrzeugen in Deckung und begann, sich im Zickzack Richtung Tor voranzuarbeiten, aber irgendwie hatte er jeglichen Orientierungssinn verloren. Eine Parade verrosteter Wracks machte der nächsten, ähnlichen Platz – er konnte sie nicht mehr unterscheiden. Wohin ihn der Irrgarten auch führte, zu einem Weg nach draußen anscheinend nicht; er konnte die Lampe am Tor nicht mehr sehen und Popes Feuer am anderen Ende des Platzes ebenso wenig. Der Autofriedhof war ein einziges Jagdrevier und er die Beute; und wohin ihn sein verschlungener Weg auch führte, Popes Stimme blieb so nah bei ihm wie sein Herzschlag. »Laß den Knoten sausen, Junge«, sagte sie, »laß ihn sausen, und ich lass’ dich nicht deine eigenen Augen fressen.«
Karney hatte schreckliche Angst; aber Pope auch, das spürte er. Die Schnur war kein Mordwerkzeug, wie Karney immer geglaubt hatte. Was auch ihr Sinn und Zweck sein mochte, der Alte hatte keine Macht darüber. In dieser Tatsache steckte der letzte Rest einer Überlebenschance. Es war an der Zeit, den dritten Knoten aufzubinden: ihn aufzubinden und die Folgen zu tragen. Konnten sie denn noch schlimmer als der Tod durch Popes Hand?
Karney fand eine passende Zuflucht längsseits eines ausgebrannten Lastwagens, glitt in die Hocke hinunter und öffnete seine Faust. Sogar in der Dunkelheit konnte er fühlen, wie der Knoten daran arbeitete, sich selber zu enträtseln; Karney half ihm dabei, so gut er konnte.
Und wieder ließ sich Pope vernehmen: »Tu’s nicht, Junge«, sagte er mit einem Anschein von Fürsorge. »Ich weiß, was du denkst, und glaub mir, es ist dein sicheres Ende.«
Karneys Hände schienen aus lauter Daumen zu bestehen, sie waren dem Problem nicht mehr gewachsen. Vor seinem geistigen Auge flimmerte eine Galerie von Todesporträts: Catso auf der Straße, Red auf dem Teppich, Brendan, wie er Popes Griff entgleitet, während ihm das Messer aus dem Schädel rutscht. Gewaltsam verdrängte er die Bilder, ordnete seine paralysierten Sinne, so gut er irgend konnte. Pope hatte seinen Monolog abgekürzt. Das einzige Geräusch auf dem Schrottplatz war jetzt das entfernte Gesumm des Verkehrs; Karney machte sich wenig Hoffnung, daß er die Welt, aus der es kam, wiedersehen würde. Er fummelte an dem Knoten herum, wie ein Mann mit einer Handvoll Schlüssel an einer abgesperrten Tür – er probiert erst einen, dann den nächsten, dann noch einen, ist sich dabei ständig bewußt, daß ihm die Nacht unmittelbar im Nacken sitzt. »Schneller, schneller!«
spornte er sich an. Aber seine frühere Fingerfertigkeit hatte ihn völlig im Stich gelassen.
Und dann ein Zischen, als die Luft durchschnitten wurde und Pope ihn gefunden hatte – Triumph im Gesicht beim Versetzen des Todesstoßes. Karney wälzte sich aus seiner Hockstellung, aber die Klinge erwischte ihn am Oberarm und öffnete eine Wunde, die von der Schulter bis zum Ellbogen reichte. Der Schmerz verlieh ihm Schnelligkeit, und der zweite Hieb traf das Fahrerhaus des Lastwagens, erntete Funken, nicht Blut.
Bevor Pope wieder zustoßen konnte, flitzte Karney davon; pulsierend rann ihm das Blut aus dem Arm. Der Alte nahm die Verfolgung auf, aber Karney war geschwinder. Er verdrückte sich hinter einen der Busse, und während Pope hinter ihm her keuchte, versteckte er sich behende unter dem Fahrzeug.
Karney verbiß sich einen Schmerzensschluchzer, als Pope vorbei lief. Die Wunde, die er davongetragen hatte, setzte effektiv seine linke Hand
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