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Das 4. Buch des Blutes - 4

Das 4. Buch des Blutes - 4

Titel: Das 4. Buch des Blutes - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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außer Gefecht. Den Arm eng an den Körper herangezogen, um den Druck auf seinen zerschlitzten Muskel zu verringern, versuchte er, die elende Arbeit an dem Knoten zu vollenden, benutzte dabei die Zähne statt einer zweiten Hand. Spritzer weißen Lichts tanzten ihm vor den Augen: Zur Bewußtlosigkeit fehlte nicht viel. Er atmete tief und gleichmäßig durch die Nase, während seine Finger fieberhaft an dem Knoten zerrten. Er konnte die Schnur in seiner Hand nicht mehr sehen, ja kaum noch fühlen. Er arbeitete blind, wie damals auf dem Fußpfad, und jetzt, wie seinerzeit, begannen Instinkt und Intuition die Arbeit für ihn zu übernehmen. Der Knoten fing an, an Karneys Lippen zu tanzen, erpicht darauf, freizukommen. Es waren nur noch Augenblicke bis zu seiner Auflösung.
    In seinem Eifer übersah Karney den nach ihm langenden Arm
    – bis er aus seiner Schutzzone herausgezerrt wurde und in Popes leuchtende Augen hinaufstarrte.
    »Das Spielen ist vorbei«, sagte der Alte und ließ Karney los, um ihm die Schnur zwischen den Zahnen herauszureißen.
    Karney versuchte, sich ein paar qualvolle Zentimeter bewegen, um Popes Zugriff auszuweichen, aber der Schmerz in seinem Arm lähmte ihn. Er fiel auf den Rücken, stieß beim Aufprall auf den Boden einen Schrei aus.
    »Nichts sollst du mehr sehen«, sagte Pope, und das Messer fuhr herab. Der blendende Hieb landete jedoch nie. Eine verwundete Gestalt tauchte hinter dem Alten aus ihrem Versteck auf und griff nach den Schößen seines Gabardinemantels. Im Nu hatte Pope sein Gleichgewicht wiedererlangt und wirbelte herum. Das Messer fand seinen Gegner, und Karney öffnete die schmerzverschleierten Augen, um zu sehen, wie die abgebalgte Bestie rückwärts taumelte, die Wange bis auf den Knochen aufgeschlitzt. Pope drängte sofort nach, um die Metzelei zu Ende zu bringen, aber Karney wartete den Anblick nicht ab. Er hielt sich an dem Autowrack fest und richtete sich, den Knoten noch immer zwischen die Zähne geklemmt, auf. Hinter ihm fluchte Pope, und Karney wußte, er hatte die Abschlachtung aufgegeben, um ihn zu verfolgen. Im Bewußtsein, daß die Flucht bereits gescheitert war, torkelte er zwischen den Fahrzeugen auf den freien Platz hinaus. In welcher Richtung lag das Tor? Er hatte keine Ahnung. Seine Beine gehörten einem Komiker, nicht ihm; sie hatten Gummigelenke, waren zu nichts zu gebrauchen, außer um damit auf den Arsch zu fallen. Nach zwei weiteren Schritten knickten ihm die Knie ein. Der aufsteigende Geruch benzingetränkter Schlacke schlug ihm entgegen.
    In seiner Verzweiflung hob er die intakte Hand an den Mund.
    Seine Finger berührten eine Schnurschleife. Er zog daran, heftig und wie durch ein Wunder kam die letzte Verschlingung des Knotens frei. Als ihm eine plötzlich aufwallende Hitze die Lippen anschmorte, spuckte Karney die Schnur aus; sie fiel zu Boden, nun, da ihr letztes Siegel gebrochen war, und aus dessen Kern heraus nahm der dritte ihrer Gefangenen Gestalt an. Er erschien auf der Schlacke, wie ein kränkliches Kleinkind, die Gliedmaßen verkümmert, der massige Kahlkopf in keinem Verhältnis zu seinem verschrumpelten Körper, dessen Fleisch fahl war bis an die Grenze der Durchsichtigkeit.
    Es flappte mit seinen wackligen Armen, in einer vergeblichen Anstrengung, sich aufzurichten, als Pope herankam, erpicht darauf, ihm die wehrlose Kehle durchzuschneiden. Was immer sich Karney auch von dem dritten Knoten erhofft hatte –
    jedenfalls nicht dieses verkrüppelte Bündel Leben – es widerte ihn an.
    Und dann sprach es. Seine Stimme war nicht die eines quäkenden Kleinkinds, sondern die eines erwachsenen Mannes, wenngleich sie aus dem Mund eines Säuglings ertönte.
    »Her zu mir!« rief es. »Schnell!«
    Als Pope sich hinunterbeugte, um das Kind zu ermorden, zog Schlammgestank über den Schrottplatz, und die Schatten spien ein stacheliges, hängebäuchiges Wesen aus, du über den Boden auf ihn zu glitt. Pope wich zurück, als sich das Geschöpf – auf seine reptilienhafte Weise ebenso unfertig wie sein affenartiger Bruder – dem fremdartigen Kleinkind näherte. Karney rechnete fest damit, daß es den Happen verschlingen würde, aber das farblose Kind hob die Arme zur Begrüßung, während die Bestie aus dem ersten Knoten sich um es herumringelte. Im selben Moment zeigte auch die zweite Bestie unter freudigem Stöhnen ihr gräßliches Gesicht. Sie legte ihre Hände auf das Kind, zog den hinfälligen Körper in ihre geräumigen Arme hoch und

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