Das 4. Buch des Blutes - 4
sich an, als habe man sie in Eiswasser getaucht.
Schreiend bat sie ihren Gegner, sie gehen zu lassen, schleuderte ihren freien Arm nach oben, um das Geisterwesen wegzustoßen, aber das packte sie einfach auch bei der anderen Hand.
Außerstande, sich zu widersetzen, begegnete sie seinem Starrblick. Das waren nicht die Augen des Teufels, die sie da ansahen – es waren etwas blöde, ja komische Augen – mit einem laschen Mund darunter, der den Eindruck geistloser Beschränktheit nur verstärkte. Mit einem Mal hatte sie keine Angst mehr. Das war kein Dämon, sondern eine Sinnestäuschung, hervorgerufen durch Erschöpfung und Tabletten. Es konnte ihr nichts anhaben. Die einzige Gefahr hier lag darin, daß sie sich bei ihren Bemühungen, sich der Halluzinationen zu erwehren, selbst verletzte.
Buck spürte, daß Virginias Wille, Widerstand zu leisten, nachließ. »Das is’ besser«, beschwatzte er sie. »Du hätt’st nur gern ’n bißchen was von der alten Geigerei, oder, Ginnie?«
Er war sich nicht sicher, ob sie ihn hörte, aber egal. Er konnte ihr liebend gern seine Absichten deutlich machen. Er ließ ihre eine Hand fallen und fuhr ihr mit seiner Handfläche über die Brüste. Sie seufzte, einen konfusen Ausdruck in den schönen Augen, aber sie unternahm nichts, sich seinen Aufmerksamkeiten zu widersetzen.
»Dich gibt’s nicht wirklich«, sagte sie unumwunden zu ihm.
»Dich gibt’s nur in meinem Kopf, wie John schon sagte. Die Pillen haben dich gemacht. Das Ganze kommt von den Pillen.«
Buck ließ die Frau babbeln; sollte sie doch denken, was sie wollte, sofern es sie gefügig machte.
»Das stimmt doch, nicht wahr?« sagte sie. »Du existierst nicht wirklich, oder?«
Er tat ihr mit einer höflichen Antwort den Gefallen. »Sicher«, sagte er und drückte sie dabei an sich. »Ich bin bloß ein Traum, das ist alles.« Die Auskunft schien sie zu befriedigen. »Kein Grund, sich gegen mich zu wehren, oder?« sagte er. »Ich bin gekommen und gegangen, noch eh’ du dich’s versiehst.«
Die Rezeption war leer. Aus dem angrenzenden Zimmer hörte Gyer einen Fernseher. Earl mußte sich irgendwo in der Nähe befinden. Er hatte das Zimmer zusammen mit dem Mädchen verlassen, das das Eiswasser gebracht hatte, und sicherlich würden sie bei einem Wetter wie diesem keinen Spaziergang machen. Der Donner war in den letzten Minuten näher herangerückt, jetzt befand sich das Gewitter über dem Areal.
Gyer genoß das Getöse und das Spektakel der Blitze. Es befeuerte sein Gespür für die besondere Situation.
»Earl!« rief er gellend und bahnte sich dabei seinen Weg durch das Büro in das Zimmer mit dem Fernseher. Der Nachtfilm näherte sich seinem Höhepunkt, der Ton war ohrenbetäubend laut aufgedreht. Irgendeine Phantasiebestie trampelte Tokio kurz und klein; Stadtbewohner flohen kreischend. In einem Sessel vor dieser Pappmaché-Apokalypse schlief ein Mann mittleren Alters. Weder der Donner noch Gyers Rufe hatten ihn wachgerüttelt. Ein großes Glas Schnaps, das er in seinem Schoß hielt, war ihm aus der Hand gerutscht und hatte ihm die Hose befleckt. Die ganze Szene stank nach Bourbon und Lasterhaftigkeit; Gyer merkte sie sich zur künftigen Verwendung auf der Kanzel vor.
Eine frostige Kühle wehte von der Rezeption herein. Gyer drehte sich in Erwartung eines Besuchers um, aber hinter ihm war niemand. Er starrte ins Leere. Den ganzen Weg hier herüber hatte er schon das Gefühl gehabt, daß ihm jemand folgte, aber niemand saß ihm auf den Fersen. Er annullierte seinen Verdacht. Ängste wie diese waren was für Frauen und alte Leute, die sich vor dem Dunkel fürchteten. Zwischen dem schlafenden Trunkenbold und dem Untergang Tokios schritt er zur geschlossenen Tür auf der anderen Seite.
»Earl« rief er laut, »gib Antwort!«
Sadie sah zu, wie Gyer die Tür öffnete und die Küche betrat.
Sein bombastisches Getue setzte sie in Erstaunen. Sie hatte erwartet, daß diese Subspezies inzwischen ausgestorben sei: War denn ein solches Melodrama in diesem sich intellektuell gebenden Zeitalter auch nur halbwegs glaubwürdig? Sie hatte Kirchenleute nie sehr gemocht, aber dieses Exemplar war besonders widerwärtig; unter dem aufgeblähten Gehabe lauerte mehr als nur ein Hauch Bosheit. Der Mann war aufgebracht und unberechenbar, und die Szene, die ihn in Laura-Mays Zimmer erwartete, würde ihm nicht gefallen. Sadie war schon dort gewesen. Sie hatte den Liebenden eine Zeitlang zugesehen, bis ihr deren Leidenschaft zuviel
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