Das 4. Buch des Blutes - 4
Zügen lesen zu können.
Das Wesen beäugte sie, wie sie glaubte, mit Mordabsichten.
Draußen hörte sie die Stimme ihres Mannes über dem Donnergetöse, und außerdem Earls Stimme, überlaut vor Protest. Ein hitziger Streit war da im Gang, soviel war offenkundig. Sie glitt die Wand hinauf und versuchte, die einzelnen Worte zu verstehen. Das Wahngebilde sah ihr böse drohend zu.
»Du hast es nicht geschafft«, sagte sie zu ihm.
Es antwortete nicht.
»Du stammst bloß aus einem Traum von mir; und du hast es nicht geschafft.«
Es öffnete den Mund und wackelte mit seiner farblosen Zunge. Virginia begriff nicht, wieso es sich nicht in Luft aufgelöst hatte; aber vielleicht würde es ihr hinterherlaufen, bis die Wirkung der Pillen in ihrem Organismus verflogen war.
Auch egal. Sie hatte das Schlimmste erduldet, das es zu bieten hatte; jetzt würde es sie, über kurz oder lang, sicherlich in Ruhe lassen. Nach seinen mißglückten Vergewaltigungsversuchen war es nachgerade jeglicher Macht über sie beraubt.
Sie ging zur Tür hinüber, nunmehr ohne Angst.
Es erhob sich aus seiner krummen Positur. »Wo gehst du hin?« wollte es wissen.
»Nach draußen«, sagte sie. »Earl helfen.«
»Nein«, sagte es. »Ich bin mit dir noch nicht fertig.«
»Du bist bloß ein Phantom«, entgegnete sie schroff. »Du kannst mich nicht aufhalten.«
Es bot ihr ein Lächeln, das aus drei Teilen Bosheit und einem Teil Charme bestand. »Du irrst dich, Virginia«, sagte Buck. Es brachte nichts, die Frau noch länger zu täuschen; er hatte dieses seltsame Spiel satt. Und vielleicht war es ihm nur deshalb nicht geglückt, die alte Geigerei zuwege zu bringen, weil das Weib sich ihm so widerstandslos überlassen hatte, im Glauben, er sei irgendein harmloser Alptraum. »Ich bin kein leerer Wahn, Frau«, sagte er, » ich bin Buck Durning. «
Stirnrunzelnd sah sie die schwankende Gestalt an. Spielte ihr ihre Psyche da einen neuen Streich?
»Vor dreißig Jahren wurd’ ich in eben diesem Zimmer totgeschossen. Genaugenommen ziemlich exakt an der Stelle, wo du jetzt stehst.«
Unwillkürlich warf Virginia einen flüchtigen Blick auf den Teppich ihr zu Füßen, erwartete beinahe, dort noch die Blutflecken zu entdecken.
»Heut nacht sind wir zurückgekommen, Sadie und ich«, fuhr das Gespenst fort. »Ein einmaliges Gastspiel im Schlachthaus der Liebe. So ham sie diesen Platz genannt, wußtest du das?
Die Leute sind früher von überall hierhergekommen, bloß um in dieses Zimmer hier reinzustieren, bloß um zu sehen, wo Sadie Durning ihren Gatten Buck erschoß. Kranke Leute, Virginia, find’st nicht auch? Mehr an Mord als an Liebe interessiert. Ich nicht … Ich hab’ Liebe immer gemocht, verstehst du? Genaugenommen so ziemlich die einzige Sache, für die ich je ’n ausgesprochenes Talent hatte.«
»Du hast mich belogen«, sagte sie. »Du hast mich benutzt .«
»Ich bin noch nicht fertig«, beteuerte Buck.
»Genaugenommen hab’ ich kaum angefangen.«
Er bewegte sich auf sie zu, aber diesmal war sie auf ihn vorbereitet. Als er sie berührte und der Rauch wieder zu Fleisch verwandelt wurde, schnellte sie einen Schwinger in seine Richtung. Buck bewegte sich, um ihm auszuweichen, und sie sprang seitlich an dem Gespenst vorbei Richtung Tür. Ihr losgebundenes Haar kam ihr in die Augen, aber sie schleuderte sich regelrecht Richtung Freiheit. Eine wolkige Hand schnappte nach ihr, aber der Zugriff war zu substanzlos und glitt ab.
»Ich wart’ auf dich«, rief Buck hinter ihr her, als sie über den Laufgang in das Unwetter taumelte. »Hörst du mich, du Luder?
Ich wart’ auf dich! «
Fiel ihm doch nicht ein, sich mit einer Verfolgung zu erniedrigen. Sie mußte ja notwendigerweise irgendwann zurückkommen, oder? Und er, für alle bis auf die Frau unsichtbar, konnte es sich leisten, den günstigsten Augenblick abzupassen. Wenn sie ihren Gefährten erzählte, was sie gesehen hatte, würden sie sie für verrückt erklären; sie womöglich dort einsperren, wo er sie ganz für sich haben konnte. Nein, das hier war eine todsichere Sache. Tropfnaß bis auf die Haut würde sie zurückkehren, das Kleid auf ein Dutzend betörende Weisen am Leib klebend; vielleicht total verängstigt; in Tränen aufgelöst; zu schwach, um seinen Annäherungsversuchen Widerstand zu leisten. Dann würden sie fiedeln miteinander. O ja. Bis sie ihn anflehte aufzuhören.
Sadie folgte Laura-May nach draußen.
»Wo gehst du hin?« fragte Milton seine Tochter, aber sie
Weitere Kostenlose Bücher