Das 5. Gebot (German Edition)
würde.
Lügner, verdammter Lügner. Als ob er in der Lage gewesen wäre, irgendeine Frau auf dieser Welt zu beschützen. Den Bock zum Gärtner gemacht. Er hatte geglaubt, mit Birgit und Manuela noch eine Chance im Leben bekommen zu haben. Etwas wiedergutmachen zu können. All die toten Frauen wiedergutmachen zu können. Er hatte seine letzte Chance vertan. Birgit und Manuela verschwanden spurlos. Er hatte es zugelassen, hatte nicht genügend auf sie aufgepasst. Er hätte es wissen müssen, hätte es vorhersehen müssen. Er kannte sie doch, er wusste doch, wie sie waren, die Frauen, die Weiber, diese Luder. Sie konnten alles von ihm haben, wenn sie es nur richtig anstellten. Sie konnten ihn um den Finger wickeln.
Sein Haus war umstellt gewesen von Polizei, Bundeskriminalamt, Interpol, Detektiven, Journalisten, sie haben sie gesucht, alle haben sie gesucht. Ihre Leichen waren nie gefunden worden. Bis jetzt. Er hatte nicht auf sie aufgepasst.
39. Tassin-la-Demi-Lune
„Voilà, l’orloge“, sagte der Taxifahrer und zeigte auf eine Uhr, die in der Mitte eines kleinen Platzes stand.
„Ob sich der Erbauer etwas Unanständiges dabei gedacht hat?“, fragte Leo und grinste.
„Tassin-la-Demi-Lune“, sagte der Taxifahrer. Er hielt hinter einem Heineken-Bierwagen vor der Brasserie de la Rotonde. Der Wirt hatte Stühle und Tische auf dem Bürgersteig aufgebaut, und obwohl die Mittagszeit an diesem Freitag bereits lange vorbei und es für das Abendessen viel zu früh war, waren einige Tische besetzt. Vicky und Leo suchten sich einen Platz unter der beigefarbenen Markise.
„Wenn wir nicht Auto fahren, kann ich ja einen Pastis nehmen“, sagte Leo, während er die Speisekarte musterte.
„Aber bitte nicht dieses Zeug, das riecht wie mein Mundwasser“, sagte Vicky.
„Immer noch besser als dieser Artischockenschnaps, den du so gerne trinkst, der riecht wie Laterne ganz unten“, sagte Leo und bestellte einen Ricard.
Vicky wollte nur einen Kaffee.
Leos Blick wurde starr. „Vicky“, flüsterte er, „dreh dich nicht um.“
„Wieso, was ist?“, flüsterte Vicky zurück, der ein Schreck in die heftig schmerzenden Glieder gefahren war.
„Gefahr von hinten!“
„Was ist los, Leo, ich mach mir gleich in die Hosen.“
„Bleib ganz ruhig sitzen, ich bewege mich jetzt vorsichtig in seine Richtung.“ Leo stand auf. „Nicht umdrehen, bin gleich wieder da.“
Vicky blieb wie erstarrt sitzen, während Leo sich an ihrem Stuhl vorbeizwängte. Sie wagte nicht, sich umzudrehen. Sie spitzte die Ohren, aber auf diesem Platz war es laut, der Verkehr rauschte rund um diese komische Uhr, die wirklich aussah wie ein überdimensionaler Dildo.
Der Kellner brachte ihre Getränke, aber von Leo keine Spur. Vicky wagte kaum zu atmen, geschweige denn, ihren Café anzurühren. Leo, flehte sie insgeheim, bitte komm schnell wieder.
Am Nebentisch saß ein junges Paar, das völlig in sich selbst versunken war. Die beiden hielten über dem Tisch Händchen und sahen sich bedeutungsvoll in die Augen. Augensex, dachte Vicky. Wie lange war es her, dass sie mit George so gesessen hatte? Das musste sich ändern, beschloss sie. Seit sie auf ein Kind übten, hatte sich etwas Zwanghaftes in ihr Sexleben eingeschlichen. Komisch, was einem für Gedanken kamen, wenn man Angst hatte. Übersprungsgedanken? Wo blieb Leo nur! Sie nahm ihr neues Handy und checkte die Nachrichten. Nichts. Sie versuchte – zum wievielten Mal eigentlich? – George zu erreichen. Wieder sprach sie ihm auf die Mailbox und noch einmal auf den Anrufbeantworter zu Hause. Sie versuchte, ihn in seiner Firma zu erreichen, aber seine Sekretärin war offensichtlich bereits nach Hause gegangen. Leo, bitte, bitte komm wieder. Vicky war schon ganz schlecht vor Angst. Da legte ihr jemand einen Arm auf die Schulter.
„Leo hat den Feind erlegt“, sagte er, als er um ihren Stuhl herum zwischen zwei Tischen versuchte, seinen Platz wieder zu erreichen. Er stellte einen großen Pappkarton auf den Tisch. Konspiratives Material. Sichergestellt. Vicky hätte vor Erleichterung fast geheult. „LEO! Spinnst du? Wo warst du?“
Leo öffnete den Karton. Vicky merkte, dass sich eine Träne aus ihrem Augenwinkel löste. Ein köstlicher Geruch von Schokolade und Puderzucker stieg ihr in die Nase. Vor ihr lagen die schönsten Petits Fours, die sie je gesehen hatte. Zarte, karamellglänzende Eclairs, mit rosa Marzipan überzogene und mit silbernen Perlen besetzte Biskuit-Häppchen, Torteletts
Weitere Kostenlose Bücher