Das 5-Minuten-Grauen
mitgehört und schaffte es nicht, über diese Philosophie nachzudenken, weil sie einfach zu schrecklich für sie war. Eine Frage jedoch rutschte über ihre Lippen.
»Wo ist es?«
Flora gab ihr keine direkte Antwort. Beinahe vorwurfsvoll schüttelte sie den Kopf. »Das weißt du nicht? Denke nach, Kindchen. Auch ein Stundenglas aus der Hölle besteht aus einem bestimmten Material. Und zwar aus dem, auf dem du stehst.«
»Glas!«
»Ja!« Fast jubelnd gab sie die Antwort. »Es besteht aus Glas. Du stehst auf dem oberen Rand. Es braucht sich nur zu öffnen, um dich verschlingen zu können.«
Rita glaubte, von einem Peitschenhieb erwischt zu werden. Sie ging etwas in die Knie. Ihr Magen zog sich zusammen, plötzlich wurde ihr übel.
»Geht es dir schlecht?« erkundigte sich Flora mit falscher Freundlichkeit.
»Das… das kann nicht wahr sein…«
»Schau vor deine Füße.«
Rita senkte den Kopf. Sie konnte in das Glas hineinsehen, die Tiefe war vorhanden, nur erkannte sie nicht, ob es tatsächlich aus zwei kelchartigen Hälften bestand, die miteinander verbunden waren.
»Wir lassen dich jetzt allein!« erklärte Flora. »Beim Sterben sollte jeder für sich selbst sein. Eigentlich ist es schade um dich, aber du hättest nicht kommen sollen.«
»Nein, das hättest du nicht«, sagte Clara.
»Es wäre für dich besser gewesen, in England zu bleiben!« flüsterte auch Erica zum Abschied.
»Au revoir, Kindchen!« hechelte Georgette, die Chansonette und der gealterte Vamp.
Ihre Worte verklangen, als sich Flora zurückzog und ebenso leise die Tür schloß wie auch ihre drei Freundinnen.
Kita Wilson war allein!
Unbeweglich stand sie auf der Glasfläche und dachte darüber nach, ob sie in den vergangenen Minuten einen Traum erlebt hatte oder nicht. Es mußte einfach ein Traum sein, denn…
Da geschah es!
Zuerst spürte sie den Ruck, als würde sich unter ihren Füßen etwas zusammenziehen.
Sie senkte den Blick und glaubte, daß sich in der Tiefe etwas veränderte. Dort nahm das Glas eine andere Gestalt an, es zog sich zusammen, lief von zwei Seiten der Mitte entgegen und sorgte dafür, daß die schmale Verbindungsröhre entstand.
Es stimmte alles…
Rita wurde klar, daß ihr jetzt die letzte Chance blieb. Sich nach vorn werfen, wegrennen, durch eine der Türen verschwinden und irgendwohin rennen.
Als sie das Schmatzen vernahm, war es bereits zu spät. Plötzlich steckte sie fest. Da war das Glas weich wie Pudding geworden und hielt bereits ihre Schuhe umschlungen.
Rita brach seelisch zusammen…
***
Meine Begleiterin steckte in der Falle. Ich stand tief unter ihr, konnte sie sehen, doch es war mir unmöglich, ihr zu Hilfe zu eilen. Die vier alten Frauen hatten die Todesfalle perfekt aufgebaut, kein Mensch konnte ihr jemals entrinnen.
Innerlich kochte ich. Das half nichts, ich mußte einen klaren Kopf bewahren. Wo lag die Lösung?
Gab es sie überhaupt? Verzweifelt dachte ich nach, den Blick nach wie vor in die Höhe gerichtet, wo jetzt noch mehr Bewegung entstand, denn es zeigten sich vier Schatten.
Die Frauen waren da!
Heimlich hatten sie ihre Verstecke verlassen, waren auf leisen Sohlen herangeschlichen, rahmten Kita ein und würden sicherlich mit ihr sprechen, um ihr zu erklären, welches Schicksal ihr bevorstand. Dabei demonstrierten sie ihr und mir unsere Hilflosigkeit, ein infames, brutales Spiel, wie es eigentlich nur in der Hölle seinen Anfang finden konnte.
Das war des Teufels würdig!
Auf mich kroch der Schlamm zu…
Lautlos und in schmalen Wellenformationen bewegte er sich zielsicher voran. Meine Insel, auf der ich stand, verkleinerte sich zusehends. Fahl leuchteten die Gesichter der Toten innerhalb der Masse. Bald würden sie ein neues bekommen — Rita Wilson!
Da die vier alten Trauen noch immer mit ihr sprachen, konnte ich mich auf den Höllenschlamm konzentrieren.
Meinen Silberkugeln hatte er widerstanden, aber wie würde er sich dem Kreuz gegenüber verhalten? Der Teufel hatte ihn geschaffen, und der Teufel haßte mein Kreuz, weil er dagegen nicht ankam. Schon oft genug hatte es ihm bittere Niederlagen bereitet. Ich konnte nur hoffen, daß ich es auch diesmal schaffte.
Die Größe meiner Insel schmolz von Sekunde zu Sekunde. Vielleicht noch knapp zwei Yards war die Masse von mir entfernt. Noch einmal leuchtete ich über sie hinweg und sah den dünnen Rauch, der über der Oberfläche waberte. Was tun?
Ich ging vor und blieb erst dann stehen, als der Schlamm meine Fußspitzen fast
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